Politisch? Korrekt! – Über die Gratwanderung beim Improtheater, über Abstürze und Höhenflüge

Einmal Improtheater, immer Improtheater. So war es zumindest bei mir. Was die Magie der Improvisation ausmacht und warum sie auch im Alltag verdammt nützlich ist, darüber habe ich mit Lotte und Britta von der Improgruppe „Die Spieler – Hamburger Improvisations- und Unternehmenstheater“ gesprochen.

Wann ist etwas witzig? (Ich lache.)

Britta: Das ist ja sehr spannend. Ich fand die Frage zum Beispiel gerade witzig, auch dein Lachen fand ich witzig. Dinge, die im Moment entstehen, die das Herz erfreuen. Situationskomik. Wenn es nicht geplant ist, sondern einfach kommt. Es kann für mich witzig sein und für jemand anderen gar nicht.

Stichwort Situationskomik: Aus meiner Sicht gibt es in Hamburg zwei Improschulen. Die eine sagt: Du sollst nicht versuchen, witzig zu sein, dann kommt die Witzigkeit von alleine. Die andere Schule will witzig sein und ist es auch. – Wie seht ihr das?

Britta: Ich glaube, da gibt es verschiedene Perspektiven – wie bei allen Dingen. Ich mag es, dass Improvisation nicht immer witzig sein muss. Sie kann auch eine große Berührbarkeit haben und in die andere Richtung gehen. Es ist schön, wenn Lachmuskeln aktiviert werden; das hat alles seinen Wert. Daneben gibt es aber auch Improvisationen, die das Leben widerspiegeln. Das Leben ist ja nicht nur witzig, sondern manchmal auch traurig, irritierend oder zum Nachdenken. Ich finde es schön, wenn das auf der Bühne gespiegelt wird.

Als ich in eurem Kurs war, hatte ich einen Lauf. Es war wie eine Offenbarung. Habt ihr häufiger Teilnehmer, die am Ende sagen: Wow, wie toll war das denn?!

Lotte: Ja, das Schöne an dem Kurs ist der Rahmen, in dem man sich ausprobieren kann. Wir haben ihn so konzipiert, dass die Menschen mit ihrer Freude in Kontakt kommen. Tatsächlich erleben wir es häufig, dass jemand mit seiner eigenen Lebendigkeit in Kontakt kommt und sich selbst entdeckt.

Britta: Improvisation an sich ist eine Einladung, das spielerische Ich zu aktivieren. Die Teilnehmenden vergessen Zeit und Raum, sind im Moment, mit allen Sinnen da und bezeichnen das oft als Flow. Dieses zweckfreie Spielen, ohne dass etwas Großes dabei herauskommen muss, das ist das, was Spaß macht.

In eurem Workshop hatte ich am Ende das Gefühl, ich würde die Leute dort schon lange kennen. Was ist da passiert?

Lotte: Platon hat mal gesagt: „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als im Gespräch in einem Jahr.“ Ich finde, das bringt es auf den Punkt. Du hast diese Nähe, weil du den anderen mit Menschlichkeit begegnest.

Als wir vor 25 Jahren mit dem Improtheater angefangen haben, spielten wir wöchentlich in einem fortlaufenden Kurs und wussten nach einem halben Jahr immer noch nicht, was die einzelnen Menschen beruflich machen. Das war kein Thema. Es ging einfach um unser Zusammenspiel.

Britta: Bestimmte Begegnungskriterien fallen in Improkursen weg oder sind nicht so relevant. Du lernst jemanden kennen, machst sofort eine Ein-Wort-Geschichte und weißt überhaupt nicht, ob das jetzt eine Zahnärztin ist, ein Schulleiter, eine Kfz-Mechanikerin – es ist so egal. Das Wichtige in dem Moment ist, mit dem Menschen eine Wort-für-Wort-Geschichte zu kreieren, jenseits vom Smalltalk. Wobei ich den Begriff Smalltalk nicht negativ meine; es ist die Kunst des kleinen Gesprächs. Impro ist eine spielerische Begegnung, die einige Dinge, die wir sonst miteinander austauschen, erstmal überflüssig macht. Zusammen erlebt man das Abenteuer, sich aus der Komfortzone zu stretchen – das verbindet total.

Ich habe eine Theorie: Man sagt, dass jeder in seinem Inneren unbewusste Anteile trägt, die er nicht ausleben möchte, weil sie ihm peinlich oder für ihn selbst schwierig sind. Die Theorie ist nun, dass man diese Anteile beim Improtheater nach außen kehrt. Ist Improtheater damit eine Art Psychotherapie?

Britta: Es hat einen positiven Effekt auf Körper, Geist und Seele, Bauch und Herz, ersetzt aber keine Therapie. Wobei ich denke, dass es eine „therapeutische Wirkung“ haben kann. In Kursen, die längere Zeit laufen, sagen viele Menschen, sie hätten eine Entwicklung mitgemacht. Jeder ist mit seinem Thema unterwegs. Es gibt beispielsweise Menschen, die sich weniger trauen, auf die Bühne zu gehen – die möchten lernen, sich mehr zuzutrauen. Eine Teilnehmerin sagte mal: „Ehrlich gesagt höre ich gar nicht richtig zu; ich bin so in meinem Film. Ich möchte lernen, besser zuzuhören.“ Jeder hat so seins. Jemand, der sonst eher harmonisch unterwegs ist, hat vielleicht Lust, den Bad Guy zu spielen. Jeder hat die Möglichkeit, die Dinge, die da sind, einfach rauszulassen. Das befreit.

Die Therapie würde ich auf jeden Fall abgrenzen. Impro kann aber eine wohltuende Wirkung haben.

Manchmal erlebt man aber auch Frust. Es ist nicht immer nur Flow. Gerade wenn du länger spielst, hast du auch Abende, wo du frustriert bist, weil du dich nicht getraut hast, und alle anderen waren toll. Oder du hast nicht richtig zugehört.

Lotte: Du trainierst auch deinen Mut, mit unvorhergesehenen Dingen umzugehen. In einem fortlaufenden Impro-Jahreskurs sagte eine Teilnehmerin: „Ich habe meinen Job gekündigt. Das passte einfach nicht mehr!“ Zwei Wochen später kam die zweite Teilnehmerin und sagte dasselbe. Am Ende waren es fünf Menschen, die ihren Job aufgaben und es wagten, vertraute Strukturen zu verlassen. Nach diesem Jahr waren sie so gestärkt zu sagen: „Ich probiere es aus, etwas anderes zu machen.“

Wie hilft Improtheater denn im täglichen Leben? Eins eurer Motti und vom Improtheater allgemein ist ja das „Au ja!“ Lebt ihr das im wahren Leben auch aus? Bringt es etwas?

Britta: Ja. Es gibt fünf grundlegende Haltungsprinzipien, zum einen die Au-ja-Haltung, die auf der Bühne ganz wertvoll ist, im Sinne von: „Au ja, ich nehme das Angebot an.“ Wenn das Publikum „Friedhof!“ ruft, sollte ich nicht sagen: „Oh nee, ich wollte lieber die Currywurstbude“, sondern sage: „Au ja, wir machen das Beste daraus.“ „Au ja“ im Sinne von: Ich sage Ja zu meinen Mitspielern und auch zu mir selbst. Mir hilft das absolut im Alltag. Das heißt nicht, dass wir immer euphorisch durch die Gegend laufen und alles cool finden. Dieses „Au ja“ bedeutet auch, dass ich im guten Kontakt mit mir bin. Ich kann es sogar würdigen, wenn ich Angst habe oder nicht so gut drauf bin. Ich kann in bestimmten Situationen beschließen, in eine Au-ja-Haltung zu kommen und mich zu fragen, welche Möglichkeiten ich habe. Ich kann eine Situation erkennen und mich entscheiden, eine andere Haltung einzunehmen.

Dieses „Au ja“ bedeutet auch, dass ich guten Kontakt zu mir habe und mit einer offenen, positiven Haltung durch die Welt laufe. Ich sage: „Es ist, wie es ist. Wie können wir das Beste daraus machen?“, statt: „Das geht ja alles gar nicht. Ich habe mir das anders vorgestellt“. Diese Einstellung hilft total im Alltag.

Manchmal spielen wir auch damit. Dann haben wir eine Oh-nee-Situation und rufen: „Au ja!“ Damit kommen wir gleich in eine andere Selbstwirksamkeit.

Lotte: Als Corona kam, waren wir hilflos und wussten nicht, was wir machen sollen. Da haben wir Menschen mit ihren Au-ja-Momenten gefilmt, weil wir das Bedürfnis hatten, in dieser Ungewissheit und Angst etwas Schönes nach außen zu senden. Damals ist ein Minifilm entstanden. Das hat uns auch in eine Handlungsfähigkeit gebracht, weil wir vorher ganz starr und schockiert waren und die Situation schlimm fanden. Wir haben uns gesagt: „Es ist, wie es ist“ und haben geschaut, wie wir weitermachen können. Das „Au ja“ hilft uns, in den Flow, ins Handeln zu kommen.

Im Improtheater kann man Rollen ausleben, die man sonst nicht einnimmt. Welche Rolle spielt ihr am liebsten? Aus meiner Sicht hat jeder seine Lieblingscharaktere. Stimmt das?

Britta: Auch da gibt es Komfortzonen. Impro bedeutet aber auch, das zu merken und die Komfortzone zu verlassen. Ich kann zum Beispiel bemerken, dass ich immer die depressive Mutter spiele. Auch das sind Muster und Automatismen. Da versuche ich, meine Optionen zu erweitern. Das kann ich mir direkt vornehmen. Ich kann mir sagen, dass ich von den Lieblingsrollen wegkommen möchte, mich stretche und etwas Neues wage. Ich würdige das, was ist, bin aber gleichzeitig neugierig auf andere Facetten.

Lotte: Wenn man anfängt zu improvisieren, schleicht sich das so ein, dass man sich in bestimmten Rollen wohlfühlt. Das war mir dann zu langweilig – und dem Publikum auch. Es fehlt dann das, was für mich Improvisation ausmacht: die Überraschung.

Wir Spieler haben mit einem Trainer dazu gearbeitet, haben immer wieder die Rollen gewechselt. Irgendwann hat jeder gemerkt, wo seine Komfortzone zu Ende ist, und sich gefragt, wie es weitergeht und was dann kommt. Das war befreiend, weil es einem ein Universum an Charakteren eröffnet hat.

Ihr meintet eben, dass es auf der Bühne manchmal nicht so läuft, wie ihr euch das vorstellt. – Kann man eine Improspielerin nicht um drei Uhr nachts wecken und sagen „So, jetzt improvisier‘ mal“? Ist das tagesformabhängig?

Britta: Ich glaube, du kannst uns immer wecken und wir improvisieren dann. Dennoch gehört das Scheitern dazu. Deswegen sagt man auf der Bühne auch: „Scheiter heiter.“ Du versuchst ja, etwas aus dem Moment zu zaubern, was es gar nicht gibt. Du kannst dich an nichts halten, außer an das Zusammenspiel, deine Fantasie und die Fähigkeit, Dinge gut zusammenzustricken. Und natürlich läuft jemand mal mit dem Faden ganz woanders längs und man bekommt es am Ende nicht zusammen. Dann ist das halt ein Tag ohne Flow, dann wird nicht auf der Welle gesurft, sondern wir gehen auch mal unter oder straucheln. Dann ist die Frage, wie wir damit umgehen, wie wir wieder aufs Board kommen.

Im Nachhinein fragst du dich: „Warum hat das nicht funktioniert? Das hat sich so hakelig angefühlt.“ Manchmal ist es so, dass das Publikum es toll findet und für uns hat sich das nicht immer geschmeidig angefühlt. Dann schauen wir, warum das so war. Haben wir uns nicht richtig zugehört? Oft ist man mit seinen Ideen verheiratet und möchte denen folgen, dann kommt plötzlich aber etwas ganz anderes, huch! Du wolltest gerade jemanden als Papa anspielen und der kommt als Bär auf die Bühne. Das sind ganz viele Loslassprozesse. Ich finde das nahbar und menschlich, dass nicht immer alles gut läuft. Das Scheitern gehört dazu.

Man ist ja auch nicht immer in Hurra-Stimmung. Manchmal treten wir mit einem mulmigen Gefühl vors Publikum, hatten vielleicht keinen guten Tag. Wir sind ja Menschen.

In eurem Kurs meintet ihr, dass man oft Stereotype und Klischees spielt. Wo bleibt da die Political Correctness, frage ich mal ganz provokant. Und im Anschluss daran die Frage, ob Impro vielleicht deswegen bald verboten wird.

Britta: Spannende Frage. Es geht immer darum, achtsam und würdevoll mit Stereotypen umzugehen und darauf zu achten, ob es im Kontext passt. Und auch darum zu schauen, ob ich damit d’accord bin. Wir wollen niemanden verletzen, fragen uns aber selbst häufiger: „Oh, geht das? Darf man das sagen?“

Einmal haben wir für Menschen mit Behinderung gespielt – allein bei dieser Formulierung fragt man sich, ob man das anders sagen muss. Im Vorfeld hatten wir Angst, in irgendwelche Fettnäpfchen zu treten, etwas politisch nicht Korrektes zu sagen. Die Grenzen in unserem Kopf haben die Kundinnen und Kunden im Vorgespräch aber gesprengt und meinten: „Nein, spielt es so, wie ihr meint, seid frei! Lasst die Schere im Kopf nicht Überhand nehmen.“ Das war hilfreich, denn wir waren zu vorsichtig – das hat nicht gepasst. Es ist auch wichtig, etwas sichtbar zu machen; man braucht die Freiheit, etwas auf der Bühne zu platzieren.

Lotte: Was wichtig ist: Wir „Spieler“, alle fünf, haben eine Liebe zum Menschen. In unseren Trainings und in unseren Shows. Wenn wir Stereotype spielen, dann tun wir das liebevoll und wertschätzend. Es geht immer um die Würde und um die Wertschätzung. Wir machen uns über nichts lustig, sind nicht zynisch. Das ist der Kitt, der uns „Spieler“ zusammenhält. Wir sehen in den Menschen die Perlen, auch wenn die vielleicht gerade mal schlummern, und sind der festen Überzeugung, dass jeder Mensch Herzscheinwerfer in sich trägt.

Britta: Wir hinterfragen uns auch, diskutieren darüber. Im Improtheater gibt es den Ganzkörper-Gebärdendolmetscher als Technik; das kann man kontrovers diskutieren. Wir hatten auch mal einen Zuschauer, der das diskriminierend fand, weil wir uns seiner Ansicht nach lustig gemacht haben über Gebärdensprachen. Das war natürlich nicht im Geringsten unser Ansinnen. Eine Woche später hatten wir einen Auftritt, wo das, was wir gespielt haben, von professionellen Gebärdendolmetscherinnen übersetzt wurde. Wir haben die Gebärdendolmetscher zu dieser Improtechnik befragt. Sie meinten: „Nein, um Gottes Willen, macht das! Das ist etwas völlig anderes. Ihr stellt das mit dem ganzen Körper dar; das ist ja so lustig und freudvoll.“ Es ist uns aber sehr wichtig, da in den Austausch zu gehen.

Lotte: Was wir beim Unternehmenstheater merken, wenn wir mit Impro arbeiten: Du kannst Themen auch sichtbar machen, an die Oberfläche bringen und besprechbar machen. Wir hatten einmal einen Workshop, wo der Kunde im Vorfeld sagte, wir sollten nicht das Thema „Ich bin nicht zuständig“ bespielen. Dort haben wir das Zettelspiel gespielt, bei dem Teilnehmer Beiträge und Gedanken auf Zetteln niederschreiben. Auf jedem zweiten Zettel stand: „Ich bin hier nicht zuständig.“

(Ich lache.)

Daraus haben wir einen Song mit dem Refrain „Ich bin hier nicht zuständig“ gemacht, bei dem alle 300 mitschnipsten und mitsangen. Somit war das Thema mitten im Raum; was für alle Beteiligten befreiend war. So konnte der Kunde supergut damit umgehen und weiterarbeiten.

Ich habe gemerkt, dass Improvisation stark von der Mimik und Gestik abhängt. Sind Worte am Ende gar nicht so wichtig?

Britta: Ganz spannende Frage. Ich finde es wertvoll, dass du das gesehen hast, weil Impro häufig verkopft wird. Es gibt oft „Talking Head“-Szenen, wo nur gesprochen wird. Es ist wunderbar, wenn der Körper, die Mimik, die Gestik viel mehr Gewicht bekommen.

Wir haben ein so tolles Improtheater gesehen, wo uns die Kinnlade heruntergefallen ist – da wurde ganz ohne Worte gespielt. Das waren wunderschöne, berührende Geschichten, mal zum Lachen, mal zum Weinen, mal zum Staunen. Aus meiner Sicht ganz große Kunst. Für uns ist es wichtig, den Körper mitsprechen zu lassen.

Es ist für jeden Improspieler immer wieder verführend, in den Kopf zu kommen und nur zu sprechen. Aber den Körper sprechen zu lassen, die Figuren zu verkörpern, ist ganz, ganz wesentlich.

Lotte: Das Schöne ist: Wenn du auf internationalen Improfestivals bist, verstehst du nicht alles, was die Menschen da sagen. Aber wenn mit Körper und Seele, Mimik und Gestik gespielt wird, verstehst du es intuitiv. Du erkennst grob das Thema und die Geschichte.

Britta: Bei der Improvisation gibt es auch die Technik des Gibberish, die Gromolo-Sprache. Es ist faszinierend, dass du da auf einmal viel körperlicher wirst, denn dich versteht niemand. Du redest ja in einer Fantasiesprache. Sofort ist der Körper stärker im Einsatz. Also, es hilft dir als Spielerin zu sagen: Verkörpere, was du sagen willst.

Kommen wir doch nochmal auf die Worte zurück. Sind Improschauspieler eigentlich schlauer als andere Menschen? – Wie komme ich darauf? Wenn ich mir manche Aufführungen anschaue, denke ich: „Die sind brillant. Wie kommen die innerhalb von Sekunden auf die tollsten Ideen?“ Da muss man hirntechnisch richtig auf Zack sein.

Britta: Ich würde nie im Leben sagen, dass Improspieler schlauer sind. Aber schon, dass Improspielerinnen Freude an der Spontaneität haben und die reizvoll finden. Sie sind natürlich trainiert im Hinblick auf schnelles Brainstorming: Du kriegst ein Wort und musst blitzschnell schauen, was dir für Ideen kommen. Das trainierst du fast tagtäglich, das macht die Geschwindigkeit aus, manchmal auch diese Brillanz. Ich glaube, dass die bei allen Menschen da ist und aktiviert werden kann. Improspieler trainieren halt diesen Muskel.

Es läuft ja so: Ich werfe dir was rüber, zum Beispiel das Wort „Dose“ oder „Hundefutter“ – und dir fällt etwas dazu ein. Nach solchen Übungen geht man ganz anders durch den Alltag: Die Sinne öffnen die Fantasie. Plötzlich sprechen die Bäume miteinander. Du fragst dich, worüber die sich heute unterhalten. Da passiert viel, was später auf der Bühne seinen Raum findet.

Lotte: Wenn Menschen länger improvisieren, gibt es da viel Schläue und Spontaneität und schnelles wie langsames Assoziieren – man muss ja nicht in Sekundenschnelle etwas parat haben. Das Vertrauen wächst, dass alles in dir da ist, dass so viele Erlebniswelten abgespeichert sind in dir. Plötzlich kommt ein Wort, zum Beispiel „Watte“, das die Erinnerungen, Gedanken, Gefühle zum Thema Watte aktiviert. Du hast alles da: alle Geschichten, Momente, Augenblicke.

Ich weiß, dass Improtheater dabei hilft, seine Kreativität weiterzuentwickeln, auch dadurch, dass man ungewohnte Rollen einnimmt, sich anders verhält als sonst. Seid ihr außerhalb der Bühne auch kreativ? Also im Alltag?

Britta: Unsere Arbeit ist auch außerhalb der konkreten Bühne kreativ. Ich glaube, dass die Prozesse, die das Zusammenspiel auf der Bühne ausmachen, auch außerhalb wichtig sind, zum Beispiel das „Ja, und“-Prinzip, bei dem ich deine Idee höre und meine danebenstelle. Ich sage nicht gleich Aber, blockiere nicht gleich. Das kommt uns natürlich in anderen kreativen Prozessen zugute – dass wir Ideen aufgreifen und gemeinsam kreative Lösungen entwickeln.

Lotte hatte das mit Corona beschrieben: wo wir auf einmal Onlineformate entwickelt haben. Da haben uns wirklich die Prinzipien geholfen. Am Anfang hatten wir nämlich gesagt: Das geht ja gar nicht – Impro online! Dann kam aber das „Ja, und“. Ja, und wenn es doch möglich wäre? Was könnten wir da machen? Da hatte der eine eine Idee – dann die andere, und so ist es entstanden. Zug um Zug.

Lotte: Wir haben ein tolles Netzwerk, das auch diese Haltung hat. Zudem sind wir lösungsorientiert – auch da hilft Impro. Wir sagen: Es ist, wie es ist, daraus machen wir jetzt das Beste. Dann verändert sich das wieder und wir gucken weiter: Wenn es das eine nicht ist und das andere auch nicht, was gibt es noch Weiteres?

Britta: Es ist immer eine Einladung. Man kann das so machen, muss aber im Endeffekt gar nichts. Wenn du Freude am Improvisieren hast, wirkt sich das im Alltag aus. Manchmal sagst du: „Ich mache einfach! Ich improvisiere einfach, probiere aus. Das ist vielleicht nicht die perfekte Welle, aber ich nehme das jetzt und mache was daraus.“ Dann kommst du in Bewegung. Das finde ich wirklich wertvoll. Diese Einstellung hat mir beim Impro sehr geholfen.

Total spannend, wie man das übertragen kann. Ich sage wie in eurem Kurs „Yes, yes, yes, yes, yes!“ und bedanke mich für das tolle Interview, bei dem ich wieder dazugelernt habe!

Hier geht es zur geschriebenen Improvisation:
Verliebt in den Megaproll

Und hier zu meinen anderen Satiren:
Wurfmesser und andere Nützlichkeiten
Der Tag, an dem meine Putzfrau mich verließ
Modern Art at its best

Titelbild: Beate Koch

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