Der Hund mit dem Winkepfötchen. Eine Flughafen-Story.

Mein Gepäck würde seinen Weg quasi allein nach Shanghai finden, hatte man mich am Flughafen Hamburg beruhigt. Dennoch stand ich voller Unruhe am Shanghaier Gepäcklaufband und wartete darauf. Erstes Mal ernsthaftes Fliegen. Einige Koffer fuhren bereits herum, meiner war nicht dabei, auch nicht nach fünf Minuten.
Eigentlich hatte ich nach Griechenland gewollt, wegen meines Griechischkurses in diesem Jahr, war aber in China gelandet, weil auf der Website der Airline für diese Destination geworben wurde. Zudem hieß es im Bekanntenkreis, die Griechen würden gern streiken, insbesondere zur Urlaubszeit. Ich käme vielleicht nicht zurück. Dazu waren die Flugtickets nach China gerade so günstig.

Nun war ich in Shanghai, weit weg von zuhause – und mein Koffer nicht in Sicht.
Dafür ein Beamter mit einem Hund. Die beiden schritten ruhig in Richtung Gepäckband, spazierten dort hin und her. Das Hündchen, ein Golden Retriever, schaute gelangweilt in die Kofferrunde. Irgendwann hob es sein Pfötchen, legte es auf einen der Koffer und signalisierte damit seinem Herrchen: Da isser! Der Koffer voller Crystal Meth und Koks, der Koffer voller unverzollter Diamanten. Flink zog der Beamte das verdächtige Stück aus dem Laufbandverkehr, die Helferlein am Rande übernahmen den Rest.

Die Zahl der Koffer auf dem Laufband nahm stetig zu, immer wieder wurde einer vom Hündchen herausgefischt. Ich war erledigt. Ganz sicher befand sich in meinem ebenfalls etwas, was dem Hündchen nicht passte, und dann – ich mochte gar nicht daran denken … doch da! Da tauchte er endlich auf, mein Koffer. Zum Glück nicht auf der Seite, wo das Goldkerlchen gerade zugange war.
Leichten Trippelschrittes erreichte ich das gute Stück, sammelte meine Kräfte, um es vom Laufband zu hieven. Ich hatte ihn! Jetzt schnell in Richtung Ausgang, wo mir die Hitze entgegenschlug und mich dazu zwang, mich gleich mehrerer Kleidungsstücke zu entledigen. Mit dem schweren Koffer irrte ich durch den unbekannten Flughafen, hielt Ausschau nach den Hinweistafeln. Geradeaus sollte die Schwebebahn Maglev sein, die einen ins Zentrum von Shanghai beförderte. Doch wo genau war dieses Geradeaus? Es nützte nichts, ich musste an den Schalter und stellte dort die Frage: „Maglev?“
Die Dame blickte kurz auf, wiederholte sicherheitshalber: „Mag-a-lev?“
Ich nickte. Sie zeigte mir, welches Geradeaus gemeint war, nämlich das ein Stockwerk höher.
Dafür dass jeder Reiseführer die Magnetschwebebahn als achtes Weltwunder angepriesen hatte, war sie ziemlich unspektakulär. Gut, man kam etwas schneller voran, genauer gesagt 298 Kilometer pro Stunde, bekam das aber kaum mit. Na gut, auch die Autos am Straßenrand verschwanden relativ schnell aus dem Blickfeld. Das Gefühl, gleich abzuheben, hatte ich trotzdem nicht. Nach sieben Minuten und 30 Kilometern waren wir am Ziel, dann noch schnell in die U-Bahn.
Das erste Abenteuer? Eigentlich nicht; das U-Bahn-Netz war sehr übersichtlich, zudem auf Englisch und somit idiotensicher. Oder doch, ein Prospektverteiler tauchte auf. Anstatt die Zettel jedem Fahrgast zu überreichen, wie es in einem gesitteten Land üblich war, warf er sie den Passagieren lustlos in den Schoß. Ich nahm meinen in die Hand – und verstand kein Wort. Eine Dame, die neben mir saß und mich interessiert beobachtete, begann unser Gespräch mit der Frage nach den Eckdaten: Herkunft, Reisezweck, Familienstand, Anzahl der Kinder. Sie erklärte mir, dass ich nach dem Umsteigen am People’s Square keine neue Fahrkarte lösen musste. Das wunderte mich jetzt aber; ich hatte umgerechnet 20 Cent bezahlt.
„Are you sure?“, fragte ich lieber nach.
Sie schwieg und blickte in die andere Richtung. Kaum fünf Minuten im Land, schon hat jemand meinetwegen sein Gesicht verloren. Ich sagte lieber nichts mehr, stieg am People’s Square aus, wo mich gleich die Masse mitriss. Ich floss zusammen mit der Menschenmenge, musste mich um nichts kümmern. Diese spuckte mich an der M1 Richtung South Shang Xi Road aus. Die Glasscheiben am Fahrbahnrand wurden geöffnet und gaben den Zugang zur U-Bahn frei. Ich quetschte mich hinein.
Nur noch den schweren Koffer, ein Relikt aus dem 90er Jahren, über mehrere Treppenstufen nach oben schleppen und ich stand mitten in Shanghai. Bei heiterem Sonnenschein und unerträglicher Hitze. Ich hob das wackelige Gefährt an und begann, es hinter mir herzuziehen. Und während ich so zog, wurde mir bewusst, dass es ein Fehler gewesen war, am Flughafen die lange schwarze Hose nicht gegen etwas Luftigeres getauscht zu haben. Immerhin war sie aus Stoff und sog den von meinen Schenkeln fließenden Schweiß auf. Ich zog und zog, Meter für Meter.
Dieser Weg wird kein leichter sein, hatte jemand mal gesungen. Recht hatte er. Wann habe ich das letzte Mal geschlafen? Schwer zu sagen. Auf dem Zwölf-Stunden-Flug nicht. Als Reise-Newbie hatte ich mir einen Mittelplatz geben lassen, konnte mich weder auf der einen noch auf der anderen Seite ankuscheln, auch wenn die beiden Männer, die rechts und links von mir platziert waren, vermutlich nichts dagegen gehabt hätten. Also saß ich schnurgerade im Sitz – und schlief nicht. Gehörte eh zu den Bauchschläfern.
Auf der Huahai Road interessierte niemanden, wie meine Nacht gewesen war. Die Straßenhändler sprangen mich an: „Lady, want a bag? A watch?“ Es kostete mich eine gewisse Überwindung, freundlich abzulehnen. Kaum war ein Händler abgewehrt, sprang der nächste aus seiner Nische und hechtete heran. Und noch einer. Ich kämpfte mich Händler für Händler zur nächsten Querstraße, wo das Hotel stand. Nur noch ein kurzes Intermezzo an der Rezeption und ich stand im Hotelzimmer, wo man sogar auf Toilette sitzend das Festnetztelefon nutzen konnte. Wow.

Doch dies ist keine Hotelgeschichte, sondern eine Reisegeschichte. In der es um das Ankommen und Wiederabfliegen geht, um das Wie, Wann und Warum. Ich stand also wieder am Flughafen Hamburg, am Security Check, diesmal in Richtung Orient. Freute mich wie Bolle, dass ich mir das lästige Aufgeben des Koffers sparen konnte. Vier Tage Marrakesch gingen auch mit Handgepäck. Sollte man meinen. Ich gebe zu: Es war eine Herausforderung, die Bekleidung für alle Eventualitäten in die kleine Kiste zu stopfen. Aber nun lag mein rot lackierter Kleinkoffer auf dem Band. Verschlossen. Und kam natürlich nicht durch. Der Beamte bat mich, ihn aufzumachen. Da sei eine komische Dose in meinem Gepäckstück, meinte er. Na gut, vielleicht sagte er nicht wirklich „komisch“, aber die Nuancen bekam ich nicht mehr mit – ich war jetzt doch aufgeregt.
„Echt jetzt?!“
Er zeigte mir das undefinierbare zum Flug bestimmte Objekt auf dem Bildschirm. Ach das! Die Dose mit Gesichtscreme. Ich musste sie vor seinen Augen in der riesigen Mülltonne entsorgen, im Inneren bitterlich weinend: Der Hamburger Flughafen konnte nämlich nicht mit einer profanen Drogerie dienen und in den Parfümerien wäre ich bei Gesichtscremes sicher nicht unter 50 Euro dabei. Vielleicht war das auch besser so. Wenn ich mit vertrocknetem, sonnengegerbtem Gesicht in Marokko umherlief, baggerte mich vermutlich niemand an.

Ich verbrachte dreieinhalb Stunden am Flughafen Schipol, was insofern clever war, da ich auf diese Weise 200 Euro beim Flug sparte und zudem Zeit genug hatte, in einer Apotheke Cremedöschen zu organisieren. Dort wärmte ich mich wieder auf, denn im Flugzeug nach Amsterdam war es eisig kalt gewesen, wie in meinem Auto im Winter. Denn genau wie mein Diesel, der erst warm wurde, als ich nach einer halben Stunde Fahrt am Ziel ankam, landeten wir schon wieder, als die Temperatur gerade erträglich wurde. Es war wohl der erste Flug an diesem Tag gewesen.

Bei der Schwestergesellschaft, über die der Weiterflug lief, war die Temperatur zwar angenehm, dafür musste man dort hungern – und auch mit Filmen war Asche. Wie öde. Als verwöhnte Weitfliegerin ging mir das natürlich gehörig gegen den Strich. Ich mustere die anderen Fluggäste und stellte fest, dass wenige von ihnen marokkanisch aussahen. War es bei jedem Flug bisher so gewesen, dass sich die Passagiere zur Hälfte aus Menschen des Ziellandes und zur Hälfte aus anderen Reisenden zusammensetzten, sah ich hier Touris, wohin das Auge blickte. Und keine ins Land zurückkehrenden Marokkaner.

Dem Kind vor mir schien ebenfalls langweilig zu sein. Keine Ahnung, woher es das hatte, aber es hielt Plastikbesteck in den Händen, ein Messer und eine Gabel. Mit beiden versuchte es, das Fenster auszuhebeln, verrichtete seine Arbeit hingebungsvoll. Die Eltern unternahmen nichts. Ich wollte eingreifen und ihm das Besteck wegnehmen, doch da ertönte die Durchsage des Kapitäns, dass wir zur Landung ansetzten. Das Kind nahm dies zum Anlass, die Blende seines Fensterchens herunterzulassen. Natürlich sahen die Stewardessen ausgerechnet diese Aktion nicht. Die genauen Konsequenzen bei einer heruntergelassenen Blende im Falle eines Falles kannte ich zwar nicht, beschloss aber, mir dennoch Sorgen zu machen.

Wir landeten sanft.

… und ich fand mich am Megaflughafen in Dubai wieder, den ich langsam durchschritt. Rechts und links in den Gängen schliefen Leute. Auch hier hatte ich vier Stunden Zeit, diesmal ohne Auswirkungen auf die Reisekasse. Ich nutze die Gelegenheit, zwei Liter Flüssigkeit in mich hineinzuschütten – im Flugzeug hatte ich mich am Fensterplatz nicht getraut, viel zu trinken – und vertrat mir die Beine. Ich sah fremde Menschen, unbekannte Kleidungsstile, Saris, Turbane, andere Hauttöne, kaum bekannte Destinationen. Wer wusste schon genau, wo Karachi und Kochi lagen? Ich ganz sicher nicht. Langsam trocknete der Schweiß auf meinem Rücken: Bereits vor dem Anflug waren alle Passagiere über das Display vor ihnen darüber informiert worden, dass pornografische Schriften in Dubai verboten seien. Die Info kam ein bisschen spät, um eventuelle Nacktfotos vom Handy zu löschen, ich machte mir Sorgen. Auch über die psychoaktiven Substanzen, die man hier genauso wenig haben wollte. Was wusste ich schon, worunter meine Baldrianpillen fielen?
Dann ging doch alles gut. Ich verschwand auf Toilette; die zwei Liter machen sich bemerkbar. Der Ruf des Muezzins erschallte durch die riesige Halle. Der Ruf des Muezzins, hier?! Mir wurde klar, dass es ernst wurde; ich war weit weg von zuhause.

Im Flugzeug ist es stets ein ewiges Gefresse. Erst dauert es so lange, bis die Maschine bereit ist zum Abflug, über das Rollfeld fährt, abhebt und endlich die richtige Höhe erreicht, dann erst wird endlich das Essen serviert . Dann kann man nicht einschlafen – und dann ist auch schon wieder Frühstück. Noch rechtzeitig vor der Landung. In Hanoi stand ich wie hypnotisiert am Gepäckband, ließ die Koffer an mir vorbeilaufen. Manche drehten eine Ehrenrunde. Meiner war natürlich nicht dabei. Ich sah alte Stücke von Samsonite, die meinem ähnelten, zerkratzt und ohne Räder. Ein Vietnamese nahm sie alle vom Band, schleppte sie Richtung Ausgang. Ich stand schon seit einer Dreiviertelstunde hier; mein Fahrer war sicher wieder weggefahren. Dann endlich wurde das gute Stück sichtbar. Zwar war das Zahlenschloss verstellt und funktionierte nicht mehr, aber immerhin hatte der Fahrer gewartet.

Am Flughafen von Kuala Lumpur ging gar nichts mehr, informierte man mich einen Tag vor Abflug per Mail. Computerausfall. Na toll, davon hatte mir bei meiner Ankunft schon der Taxifahrer erzählt. Ich sollte mich vier Stunden vorher einfinden, wenn ich tatsächlich mitwollte, damit die Angestellten die Passagierdaten manuell erfassen konnten. Was hieß, dass ich nur vier Stunden Schlaf bekam, als der Wecker mich jetlaggeplagtes Wesen um sechs Uhr aus dem Schlaf riss. Wobei das mit dem Computerausfall zwei Wochen zuvor gewesen war, meinte der Fahrer. – Er sollte Recht behalten.

Die Check-in-Schalter waren komplett leer; ich kam problemlos durch, bekam nun die Gelegenheit, drei Stunden in einem wenig spannenden Gebäude totzuschlagen. Gern hätte ich mich hingelegt. Die Duty-free-Shops hatte ich schnell durch, war eine Stunde später in jeder Ecke des Flughafens gewesen. Zum Glück tänzelte auf der Hauptfläche gerade eine malaysische Tanztruppe, die ich mir zu Gemüte führte, dankbar, dass mir die zwei Paare in ihren farbenfrohen Kostümen in aller Herrgottsfrühe die Zeit verkürzten. Der Spaß nahm ein jähes Ende, als sich einer der Männer von der Gruppe löste und mich aufforderte mitzutanzen. Sorry, in meinem Zustand war das einfach nicht drin. Nein, ich war nicht schüchtern, wollte auch nicht überredet werden. Außerdem sah ich aus wie ein Hutzelmännchen auf Reisen. Ich würde den anderen Reisenden, die vielleicht auch Zeit totzuschlagen hatten, kein Spektakel bieten. Die Truppe tanzte ohne mich weiter und forderte nach diesem Korb niemanden mehr auf.

Ich war wieder am Flughafen Dubai. War zum fünften Mal auf Toilette, um die mir zugeführte Flüssigkeit loszuwerden, überlegte, ob ich wegen dieses auffälligen Benehmens beobachtet wurde. Um Mitternacht tobte hier das Leben. Vor dem Abflug nach Hamburg ging ich vorsichtshalber noch einmal auf Klo. Und endlich wieder sitzen; ich war drin! Und ließ das mühsame Prozedere, über mich ergehen: Positionieren auf dem Rollfeld, Beschleunigen, Abheben, Anschnallsymbol erscheint, Anschnallsymbol verschwindet wieder. Ansage des Kapitäns: Wir haben es geschafft, befanden uns in der Luft. Inzwischen waren zwei Stunden vergangen.
Endlich holten die Stewardessen ihre Rollwagen hervor, kämpften sich mühselig von Reihe zu Reihe. Der eine wollte Wasser, der andere Saft. Um 1:30 Uhr gab es Rindfleisch und anderes Gedöns. Ich kann mir keinen besseren Zeitpunkt für das Servieren von Rindfleisch vorstellen. Mir war schlecht. Zudem musste ich auf Klo. Wegen der zwei Liter aus Dubai, die sich immer noch nicht verabschiedet hatten. Ich stupste den Mann neben mir, der in einen seligen Schlummer versunken war, sanft an. Bei meiner Rückkehr, war er wieder eingeschlafen, der arme Kerl.

Wieder auf meinem Platz, konnte ich es ihm gleichtun. Oder vielleicht doch nicht. Bald würde man Frühstück servieren …

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Schweinegrippe
Pipi in Paris
Ballaballamann
Nackt in der großen Stadt
Die hat doch ’nen Vogel!

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How much is the fish?