Ballaballamann

Besonders die gut betuchten Zeitgenossen klagen gern über ihren Urlaub.

„Du, Viktoria, die Ferien waren ja so furchtbar. Zwei Wochen Afrika, puh, da kriegt mich auch kein Mensch wieder hin.“

„Ja, Liebes, ich kann das vollkommen verstehen, ich und Heimo, wir waren in der Karibik. Sehr anstrengend, sage ich dir.“

Ich hingegen hatte einen wirklich schlimmen Urlaub. Und weiß nicht, welcher Teufel mich da geritten hat. Mal was anderes sollte es sein. Und dabei verhieß schon unser Mädelsabend in der Balkandisco nichts Gutes. Shantel sollte auftreten. Shantel, der Balkanrocker, hier, leibhaft und lebendig in Hamburg, im Grünspan. Und ich dachte, den gebe es nur auf YouTube. „Disco Partizani“, das war tanzbarer Balkanpop vom Feinsten.

Luba, selbst aus Rumänien, hatte eine bulgarische Freundin, die uns Karten besorgte. Stimmung von der ersten Minute an. Niemand stand still. Da war es auch nicht schlimm, dass wir am Eingang hässliche fluoreszierende Armbänder um die Handgelenke bekamen, die jedes halbwegs vernünftige Outfit entstellten. Die Party ließ sich gut an. Lied Nummer 1: grandios. Lied Nummer 2: ebenso! Lied Nummer 3: ging ab. Lied Nummer 4: toll. Lied Nummer 5: Ich glaube, hier begann sich abzuzeichnen, dass die bisherigen Lieder sich kaum voneinander unterschieden.

Die Menge störte es nicht. Die hüpfte auch bei Lied 5, 6 und 7 ekstatisch auf und ab. Bei Lied Nummer 8 sah ich mich um, ob es hier noch etwas anderes zu tun gab als saufen und hüpfen. Ich ging hinauf nach oben, wo ich fast ohnmächtig wurde, weil die Menge bei Lied Nummer 9 genauso euphorisch den Balkanpop zelebrierte. Hunderte zuckende Körper hatten die Temperatur auf über 40 Grad gebracht. Feuchtigkeit sammelte sich an der Decke.

Ich suchte die Toiletten auf – die hatten schon bessere Zeiten gesehen. Die Eingangstür fehlte komplett, in einer pinkelte gerade ein Mann und die dritte ließ sich nur mit der Hand zuhalten. Natürlich störte das niemanden außer mich. Ich betrat den Saal erneut bei Lied Nummer 11 oder 12 und bekam leichte Aggressionen. Balkanpop war anfangs lustig, doch wenn man wieder und wieder das gleiche Stück hörte, wurde aus lustig lästig. Ich sagte den Mädels, dass es Zeit war, zu gehen. Und ging.

Nun also Urlaub am Ballermann des Ostens. Am Sonnenstrand von Bulgarien. Wie war ich bloß auf die Idee gekommen? Ach ja, ich wollte doch was anderes. Es war ähnlich wie bei den Shantel-Liedern: Tag 1, 2 und 3 waren noch okay. Obwohl ich mir bei Tag 3 gar nicht so sicher bin. Man stelle sich einen riesigen, langgezogenen Rummelplatz am Strand vor, mit allerlei Touristen-Tand, vielen, vielen Attraktionen. Sogar Sauerstoff gab es dort zu inhalieren. Für den übernächtigten Sonnenstrandbesucher. Kein Wunder, dass die hier alle tranken; anders konnte man die nachgemachten Ed-Hardy-T-Shirts, die Zuckerwatte, die halsbrecherischen Fahrgeschäfte, die gebackenen Kartoffeln, die mexikanischen Hüte, die stetig, auch bei Tageslicht, wummernden Beats nicht ertragen. Immerhin entdeckte ich eine feine Housediskothek, die ich zu meiner Hauptattraktion erklärte. Fortan war jeder meiner Urlaubstage darauf ausgerichtet, abends in eben dieser Disco tanzen zu gehen.

Bis die sieben Tage vorbei waren und ich weiterzog. Zum Goldstrand. Ebenfalls in Bulgarien, klar. Lediglich 100 Kilometer weiter. Dasselbe in Grün. Nein, in Gold. Wie auch immer: Es fiel mir schwer, mich morgens aus dem Bett zu erheben. Ich hatte so gar keine Motivation, immerfort zwischen den Maiskolben, Crêpes, Boutiquen mit Chanel-Sonnenbrillen-Imitaten und Schaschlikbuden entlangzuschlendern. Ich blieb drin und las solange, bis mich die Hitze aus dem Hotel trieb. Wie an den übrigen Tagen auch legte ich mich für eine Stunde an den Strand, las dort erneut, und hatte keinen Bock mehr. Hatte keinen Bock, eine der zahlreichen Sehenswürdigkeiten in der Umgebung zu bewundern, keinen Bock auf Ausflüge.

Ich fuhr tagsüber ins Kino nach Varna, zog mir einen Streifen mit di Caprio rein und Terminator, weil der Kinokomplex wenigstens klimatisiert war – und holte mir eine dicke Erkältung. Schleppte mich mit schweren Schritten zur Blauen Lagune, tauchte Füße und Knöchel hinein und wartete darauf, dass dieser Spaßurlaub endlich zu Ende war und ich nach Hause fliegen konnte, ins kalte Deutschland. Immerhin zwang mich niemand, aus Eimern zu saufen.

Ich vergaß zu erwähnen, dass ich bei der Wahl der Unterkunft auch kein glückliches Händchen bewiesen hatte. Damit konnte ich bei „Mein Urlaub war so schlimm“-Debatten definitiv mithalten. Gut und günstig hatte bisher immer gut geklappt. Nicht so in Bulgarien. Das Einzelzimmer im Hostel war an einer Hauptkreuzung gelegen, an der von 4 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts in vier verschiedene Richtungen Trams entlangbretterten. Das Fenster bei den vorherrschenden Temperaturen zu schließen und ohne Luftzufuhr zu schlafen, kam nicht in Frage. Außerdem ließ sich der Tramlärm durch ein simples Fenster ohnehin nicht abhalten. Das war bei meiner Ankunft in Sofia.

Vor meinem Abflug sollte sich alles nun zum Guten wenden. Ich verzichtete aus das bereits bezahlte Hostelzimmer, hatte im Vorbeigehen zwei Wochen zuvor ein normales, nobles Hotel gesehen. Übernachtung 100 Euro, doch das war mir inzwischen egal. Mein Taxifahrer sah das anders: Viel zu teuer, sagte er, als ich ihm mein Ziel nannte. Mit kaputtem Tacho („Is’ nix Schlimmes!“) fuhr er mich zu einem von ihm empfohlenen Unterkunft, wollte für die 15-Minuten-Fahrt, auf der er mir von seiner kranken Tochter erzählte, 100 Euro haben. Als ich ihm mit der Polizei kam, drohte er mir mit der Beschlagnahmung meines Gepäcks, das sich im Kofferraum seines Wracks befand. Wir einigten uns auf 50 Euro.

Im Hotel wiederum, das einen echten sozialistischen Flair ausstrahlte, wollte mich keiner beschubsen. Ich war bass erstaunt, als man mich an der Rezeption fragte, ob ich wirklich ein Zimmer hier haben wolle. Ob ich mich nicht erst einmal umsehen, das Zimmer inspizieren wolle. Ich wollte nicht – und das stellte sich als fataler Fehler heraus. Zuerst fiel mir, oben angekommen, nichts auf: alte Asbach-Dusche, wippende Kloschüssel, muffiger Geruch – alles im Rahmen. Doch der zunächst harmlos wirkende Mief steigerte sich in der Nacht zusehends zu einer Luftverpestung. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, aus Bulgarien mit einer Atemwegserkrankung zurückzukehren, und schlief an diesem Augusttag mit der Decke über dem Kopf. Dass der vorzeitliche Fahrstuhl ausgerechnet hinter der Wand, an der mein Bett stand, verkehrte und einen ziemlichen Lärm verursachte, war fast zweitrangig.

Ich machte drei Kreuze, als ich das Land verließ, behielt nur die Bulgarischübersetzerin, die mir in der letzten Woche das wahre Bulgarien gezeigt hatte, in netter Erinnerung. Doch dafür ist in dieser Geschichte kein Platz: Hier ging es um den schlimmsten Urlaub; q. e. d.

Weitere Europa-Satiren gefällig?
Malta
Paris

1 Kommentar zu „Ballaballamann“

  1. Pingback: Die hat doch ’nen Vogel! – Krasse Eloquenz

Kommentarfunktion geschlossen.