Knöpfchen drücken

’s ist a Kreiz mit den Knöpfen. Es ist wie eine Sucht, ein unwiderstehlicher Drang. Sicher hatte Freud auch hierfür eine Erklärung.

Sobald die S-Bahn verlangsamt, rennt irgendein Kind zur Tür, weil es nichts verpassen möchte. Manche bringen sich schon zehn Minuten vorher in Position, um die beste Ausgangslage zu haben. Dann der große Augenblick: Die Bahn steht. Steht und rührt sich nicht. Nichts passiert. Vor lauter Aufregung hat er, der Knabe, vergessen, wie es geht. Das Lampenfieber steigt. Alle Augen sind auf ihn gerichtet; die Bahn fährt fast schon wieder ab, der Mann mit Anzug und ledernem Aktenkoffer hat einen in seiner Haltung sichtbar werdenden Drang nach vorn, tippt mit dem Fuß auf den Boden. Endlich der erlösende Hinweis der Mutter: „Hier musst du drücken, Justin.“

Justin nestelt unsicher am Halteknopf herum, erwischt die richtige Stelle, drückt. Erleichterung! Die Menge, die sich hinter dem Knopfpionier versammelt hat, ergießt sich auf den Bahnsteig.

Aber nicht immer geht es so glimpflich aus. Letztens zum Beispiel durfte ich beobachten, wie ein Bub mit breitem Ranzen auf dem Rücken sicher und ohne Zögern den Halteknopf im Bus betätigte. Seine drei kleinen Kumpels nickten respektvoll.

Es folgte das Drama.

Er hatte, oh nein, zu früh gedrückt! Musste er doch erst an der übernächsten Station aussteigen – wie er mit erschrockener Miene den anderen mitteilte. Die wussten auch nicht weiter, einer zog seine Schultern nach oben, der andere senkte den Blick. Sie konnten ihm nicht helfen. Dem Falschdrücker standen Tränen in den Augen.

„Richtet ihr meiner Mutter aus, dass ich später komme?“, stieß er mit schwacher, herzzerreißender Stimme hervor, riss sich zusammen, weinte dann doch nicht und stapfte unsicher, aber vorschriftsmäßig aus dem Bus.

Und neulich erst: Schauplatz diesmal die Regionalbahn. Der kleine Junge stand schon an der Tür, ich zu seiner Linken, heute mal großmütig.

„Naaaaa, willst du drücken?“, fragte ich, als die Bahn hielt. Der Junge zuckte zusammen, betrachtete seine Schuhspitzen, trat von einem Fuß auf den anderen.

„Willst du nicht?“, wiederholte ich, um ganz sicher zu gehen. Als Antwort bekam ich ein leises Nein. Und kaum wahrnehmbar hinterhergeschoben: „Ich drücke nie.“

Der ältere Bruder, der sich an der Dame hinter uns vorbeigedrängelt hatte, war ganz anders drauf:

„Oh Mann, aus dem Alter sind wir raus. Mach doch selber, wenn du unbedingt diesen bazillenverseuchten Knopf berühren willst.“

Ich tat, wie mir geheißen, verließ verdattert die Bahn und wischte meine rechte Hand vorsichtshalber am Hosenbein ab.


Titelbild: DALL.E, OpenAI