Beim Diskutieren über das Thema Streit fast gestritten … so etwas kann bei den Tischgesprächen schon mal passieren. Bei der folgenden Diskussion haben wir versucht, der Definition von Streit auf die Spur zu kommen.
Die Ausgangsfrage: Streitest du gern?
Jessica: Mir macht Streiten manchmal Spaß. Weil es ein bisschen Action bringt in ein mitunter langweiliges Leben.
Moritz: Ist bei mir nicht so; ich finde es gut, wenn alle happy sind.
Elke: Ich mag mich gern auseinandersetzen, über etwas diskutieren, aber streiten – das mag ich nicht. Das schafft keine gute Energie. Beim Streiten ist immer ein Fünkchen Böses mit dabei.
Jessica: Ich finde Konfrontationen spannend und führe sie auch gern herbei. Es ist aus meiner Sicht ganz normal, wenn es zu Konflikten kommt.
Elke: Konflikte sind normal, Streit nicht unbedingt.
Christoph: Schaut mal, wie ihr das Wort Streit jeweils gefüllt habt. Für dich, Jessica, ist Streit mit Konflikten verbunden. Und für dich, Sabine, wiederum mit etwas Bösem.
Elke: Wenn ich streite, will ich Recht haben.
Christoph: Und wenn du für die Wahrheit streitest? Für eine gemeinsame Wahrheit, die man beim Streiten herbeiführen möchte?
Elke: Meine Wahrheit ist nicht ihre Wahrheit.
Moritz: Ich verstehe die Frage nicht so, dass es darum geht, um ein gemeinsames Ziel zu streiten, sondern darum, dass zwei Personen miteinander streiten.
Jessica: Die Frage kann man so oder so verstehen. Es gibt auch so etwas wie ein Streitgespräch – was wäre das dann?
Christoph: Ein Diskurs, bei dem man zusammen etwas Größeres schafft als das, was jeder alleine als Teilwahrheit kennt.
Jessica: Ich denke, es hat einen reinigenden Effekt, wenn es mal knallt.
Elke: Du meinst das reinigende Gewitter?
Jessica: Ja.
Christoph: Man lernt den anderen dadurch wirklich kennen, schaut unter seine Maske.
Elke: Das ist auch ein Ausloten von Grenzen.
Jessica: Ein Sich-selbst-Entladen.
Christoph: Also Ärger loswerden.
Jessica: Auch mal ungeschönt sagen, was Sache ist.
Christoph: Sich zeigen.
Elke: Aber das ist doch nicht gleich Streit.
Moritz: Streit ist für mich immer etwas, bei dem ich hinterher zu mir selbst sage: Okay, dann warst du aber auch drüber. Ich habe einen Streit oft genug bedauert, weil ich in der Situation nicht cool agieren konnte.
Elke: Streit ist negativ belegt.
Jessica: Es gibt doch aber auch hitzige Debatten – das geht doch in Richtung Streit.
Christoph: Streit kann sich auch in einem Lernprozess ausdrücken. Ich hole mal weiter aus: Sprache bezieht sich immer auf Bilder, die ein Mensch im Kopf hat. Gesammelte, subjektiv verdichtete Erfahrung. Wenn man das im Hinterkopf hat, dann verfügt jeder Mensch über eine Bildersammlung, von der ich eventuell etwas lernen kann.
Elke: Im Streit?
Christoph: Auch im Streit. Die Bilder, die jemand im Kopf hat, darf ich ja im Streit hinterfragen: Wie kommst du darauf? Warum? Was hast du beobachtet?
Elke: So streitest du nicht. Oder anders: Du vielleicht schon, ich nicht. Ein richtiger Streit ist emotional. Da kann auch laut werden. Ein Streit kann unter die Gürtellinie gehen. Wenn die Menschen sich beschimpfen: Das ist für mich Streit.
Moritz: Man beharrt dann auf etwas und hört dem anderen nicht mehr zu. Sobald ich dem anderen zuhöre, ist es kein Streit mehr.
Elke: Ich habe Recht! Und du nicht. Das ist für mich Streit.
Jessica: Ich provoziere manchmal Leute – denn Provokation gehört für mich zum Streit teilweise dazu –, um ihnen ihr Innerstes zu entlocken. Ein Beispiel: Mein Gegenüber ist mir zu phlegmatisch. Dann sage ich etwas, um ihn zu provozieren. Dann nämlich kommen Emotionen hoch; die will ich sehen.
Elke: Aber das ist kein Streit.
Jessica: Doch.
Christoph: Darf ich übersetzen? Du, Jessica, hast ein konkretes Interesse an der anderen Person. Du möchtest wissen, was in demjenigen drin ist. Deine Provokation ist ein tief zugewandter Akt: „Ich mache es nicht, um dich zu ärgern, sondern möchte gern wissen, wer du wirklich bist.“
Jessica: Aus meiner Sicht sind viele Menschen zu seicht, zu platt, zu emotionslos.
Elke: Du möchtest sie damit aufwecken.
Christoph: Auf jeden Fall steckt eine gute Absicht dahinter. Und wenn du von Streit erzählst, Elke, dann ist das eine wütende Entladung, bei der sich jemand nur von seinem Müll befreien möchte – egal um welchen Preis.
Moritz: Meine Definition von Streit: eine entgleiste Meinungsverschiedenheit. Eine, bei der man sich echauffiert.
Christoph: Bei der tiefe alte Kindergefühle mitschwingen.
Moritz: Egal – es wird emotional, es wird unsachlich. Man verlässt die Sachebene und geht in die Wut. Für mich ist es so: Wenn ich mich streite, bin ich wütend. Da habe ich keine Lust darauf, denn anschließend fühle ich mich schlecht.
Elke: Streit ist richtig emotional. Manch einer haut sogar zu.
Christoph: Die spannende Frage beim Streiten ist jedes Mal: Wollen wir im Streit zueinanderkommen? Oder wollen wir uns gegenseitig vernichten, um zu überleben?
Elke: Im Streit zueinanderkommen? Das geht aus meiner Sicht nicht.
Christoph: So wie Jessica das definiert, schon.
Elke: Das ist für mich kein Streit.
Jessica: Wenn ich jemanden provoziere, bin ich teilweise schon heftig in dem, was ich sage. Ich glaube nicht, dass die andere Person das so toll findet.
Moritz: Das Zueinanderkommen passiert ja auch eher danach. Wenn man runtergekommen ist und überlegt: Was habe ich da eben gemacht? – Dann geht man hin, rudert zurück – und kann aufeinander zugehen.
Christoph: Das ist der versöhnende Beischlaf. (Allgemeines Lachen.)
Moritz: Der ist nicht argumentativ. Da findet man zwar auch zueinander, aber anders.
Christoph: Wortlos.
Jessica: Zu mir hat mal ein Mann gesagt: Du willst auch jedes Problem mit Tanzen lösen – ich habe mal Tango getanzt. Und es stimmt: Für mich war das Tanzen eine Art Auflösung.
Christoph: Nähe, schön beieinander sein.
Elke: Tango ist der Inbegriff von Nähe.
Jessica: Und ich sagte: Ja, ich will jedes Problem mit Tango lösen. (Lacht.) – Mich beschäftigt aber auch immer wieder der Aspekt des Streitens im Arbeitsleben: Wenn die Gefühle da hochkommen, passt das nicht ganz. Aber ich möchte gern in den Raum stellen, ob es wirklich so ist. Wie ist das mit Streiten auf der Arbeit?
Elke: Würde ich eher vermeiden.
Moritz: Da schlucke ich meist zu viel.
Elke: Ich trenne privat und geschäftlich ganz klar. Auf der Arbeit kann es sonst schnell eskalieren.
Christoph: Worüber man sich bei der Arbeit klar werden muss, ist: Habe ich hier ein Muster, nicht gut für mich einzustehen? Oder ist es ein konkretes asoziales Verhalten von anderen? Das muss auf den Tisch, wenn man gut für sich selbst sorgen möchte.
Jessica: Im Streit schlägt man ja auch manchmal Türen zu. Und das auf der Arbeit …
Christoph: Das ist erstmal ein heftiges emotionales Signal.
Jessica: Auf der Arbeit ist das für mich ein No-Go.
Christoph: Das gehört da nicht hin.
Elke: Wenn man jemanden zur Seite nimmt und ihm sagt: „Hör mal, was du gemacht hast, finde ich total daneben“, ist das in Ordnung. – Für mich hat Streit aber auch immer was mit Rechthaberei zu tun.
Christoph: Interessant. Das kann bei anderen aber anders konnotiert sein. Ich finde, Rechthaberei ist eins der toxischen Elemente in Konflikten. Sie erschwert alles, weil es dann kein richtiges Zuhören mehr gibt – und kein Interesse aneinander.
Elke: Auch keine Toleranz. Wenn ich unbedingt Recht haben will, bin ich nicht tolerant. Dann gehe ich über Leichen.
Christoph: Es ist kein Interesse an der Verbindung vorhanden.
Elke: Genau. Die Situation ist dann genau so, wie ich sie sehe. Egal, was du sagst. Das ist Streit. Da gibt es keinen Konsens.
Jessica: Was ist aber mit dem Begriff „Streitkultur“? Der ist doch nicht negativ besetzt.
Moritz: Da hört man dem anderen zu und lässt ihn zu Wort kommen, man muss sich nicht unbedingt durchsetzen.
Christoph: Dort liegt aber auch der Fokus darauf, Konsens zu finden, eine gemeinsame Basis. Dass wir beide kooperativ nebeneinander weitermachen können. Das ist das Ziel, wenn es um den Begriff „Streitkultur“ geht. Wobei das nicht ganz mit Elkes Verständnis von Streit zusammenpasst.
Elke: Es heißt ja auch einmal „Streit“ und einmal „Streitkultur“.
Jessica: Aber das Wort „Streit“ steckt schon in beiden drin.
Christoph: Man muss bei jedem Wort die einzelnen Assoziationen, die es hervorruft, mit erfassen. Worte sind nichts Absolutes.
Elke: Auch die Empfindungen nicht.
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Titelbild: © iStock/khoroshkov
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