Emanzipation light

Emanzipiert zu sein, ist nicht immer leicht. Oder sagen wir es geradeheraus: Manchmal ist es unmöglich, leider. Deshalb flüchten wir Frauen uns, na, zum Beispiel, in den Tango. Da darf die Frau noch Frau sein. Der Mann wiederum darf noch Mann sein; er darf die Frau führen, bestimmen, wo es langgeht, obwohl gerade er es ist, der auf der Tanzfläche die wenigste Ahnung hat. Da darf die Frau, nein: muss, mal das kleine Schwarze tragen, darf stundenlang im Vorfeld eines Tanzabends vor dem Spiegel zubringen, damit ein dicker Alter sie anschließend gern an sich drückt.

Und nein, auch wenn man Brust an Brust, Wange an Wange tanzt, den Atem des Tanzpartners in seinem Nacken spürt: Es hat wirklich nichts Anzügliches, alles spielt sich auf rein tänzerischer Basis ab. Jeder Mann kann Ihnen das bestätigen.

Unangenehm wird es aber, wenn einen jemand aus dieser Traumwelt, in der noch alles in Ordnung ist, herausreißt, weil einem eine Waschmaschine angeliefert wird. Von echten Männern.

Ja, auch mir ist das passiert. Plötzlich stand sie im dritten Stock meines Hauses, die Maschine, genauer gesagt in meiner Küche. Die drei Herren vom Versandhandel wollten sich gerade aus dem Staub machen, da hielt ich den letzten, den kleinsten, am Ärmel fest.

„Aber beim Kauf wurde mir gesagt, dass der Anschluss an die Wasserleitung inklusive ist“, meinte ich zu ihm. Herr Nummer eins rief mir aus dem Treppenhaus war zu: „Ja, nur haben Sie am Wasseranschluss ein 2-Wege-Verteilerstück dran. Wir benötigen einen Siphonanschluss.“

„Und den haben Sie nicht dabei?“

„Naaaaa.“ Er drehte sich wieder um.

„Ja, aber – können Sie denn wenigstens die Transportsicherung lösen? Ich habe ja gar kein Werkzeug.“

Wenn auch ungern, so kehrte er doch tatsächlich um, löste alles, was zu lösen war – und war verschwunden. Ich guckte blöd aus der Wäsche, genauer gesagt aus meiner letzten sauberen Hose, dem T-Shirt, das ich seit zwei Tagen trug, war verzweifelt. Ein Mann musste her. – Otto!

Zwei Stunden später stand Otto in meiner Küche. Mit seinem praktischen Handköfferchen, in dem sich selbstverständlich ein Siphonanschluss befand. Otto sah Probleme aufkommen („Oh, das sieht ganz schlecht aus hier unten“) – meisterte sie jedoch. Der Tag war gerettet. Ich engagierte ihn kurzerhand zusätzlich zum Anbringen der Deckenleuchten und der Gardinenstange – ich war gerade eingezogen – und zum Verlegen der Telefonleitung. Im Gegenzug bekam er eine warme Mahlzeit.

Aber es ging ja um Emanzipation. Den Lattenrost, schwor ich mir, würde ich selbst aufbauen. Den Sonntag darauf hielt ich mir frei, räumte das Schlafzimmer leer, verteilte die Einzelteile fein säuberlich auf dem Boden, nahm die Bauanleitung in die Hand, vertiefte mich darin, griff mir die erste Stange von rechts, wollte sie gerade irgendwo anbringen – da verließen sie mich … Meine Motivation war dahin, ich griff zum Hörer, hatte Otto dran. Der eilte herbei – und im Anschluss gab es kalte Platte.

Dann, auf einmal, brach der Kontakt zu Otto ab; ich hörte nichts mehr von ihm, konnte es nicht einordnen. Hing es damit zusammen, dass ich kein Tango mehr tanzte? Oder dass ich für den Herbst einen Schrankkauf plante und ihn im Vorfeld beiläufig darüber informiert hatte?

Der Herbst kam, Otto ward nicht gesehen. Dafür trat Andreas in mein Leben. Andreas lernte ich im Internet kennen und vom ersten Treffen an lief es vorzüglich. Wir waren ein Herz und eine Seele, fuhren zum Zollenspieker Fährhaus, um Kuchen zu essen. Fuhren zurück – an IKEA Moorfleet vorbei. Die Stimmung war gelöst, Andreas ließ sich sogar dazu hinreißen zu sagen: „Wenn du mal einen Kerzenständer von IKEA haben willst, fahre ich mit dir dorthin.“

Ich schluckte einmal.

„Oh, das ist schön“, fing ich an, beschloss aber im nächsten Augenblick, mit der Wahrheit nicht hinterm Berg zu halten. „Eigentlich brauche ich gar keinen Kerzenständer. Eher einen Schrank.“

Andreas versicherte mir, dass das gar kein Problem sei

Ich sah ihn nie wieder.

Marwin! Marwin würde es richten. Es war Winter. Wir trafen uns, weil er für alle Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, um Verzeihung bitten wollte. Bei einem Glas Wein in einer netten Bar. Ich witterte die Gelegenheit, erwähnte beim vierten Gläschen mein Schrankproblem. Marwin ließ sich nichts anmerken, erhob sich aber bald, wollte schon mal zahlen.

Guido kam. Guido kannte ich nicht lange, erst sechs Wochen. Er war ein grundgütiger Mensch. Wollte mir den Schrank aufbauen. Obwohl draußen herrlichstes Frühlingswetter war. Ja, er hatte richtig Lust darauf, meinte er.

„Guido, aber du musst doch nicht …“

„Doch, doch, ich will das.“

„Ich komme mir schlecht vor, Guido.“

„Ist nicht so schlimm.“

„Guido, lass uns nichts überstürzen.“

Guido beteuerte, flehte.

„Nein, Guido“, ich blieb hart. „Du nicht.“

Und es ward Sommer.


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