Money, always funny

Dass Geld zumindest nicht auf Bäumen wächst, wusste ich schon mal … aber sonst nichts vom Arbeitsleben, so mit achtzehn. Achtzehn … dieses zarte Alter. Da hat man noch Träume und Ambitionen. Zum Beispiel dass man Geld verdienen kann, ohne einen Finger zu krümmen – manchen bleibt es bis ins Erwachsenenleben.
Die erste prägende Begegnung mit Geld machte ich kurz vor meinem neunzehnten Geburtstag, als ich schon eine richtige Bankkarte hatte. Mein damaliger Freund Radu war auf Reisen, ich langweilte mich. Und steckte aus lauter Langeweile meine Karte in den Geldautomaten, drückte auf die Tausend, wartete auf die Fehlermeldung. Der Automat ratterte, ratterte und als er fertig gerattert hatte, ragten ziemlich viele D-Mark-Scheine aus dem Schlitz. Die ich an mich nahm und nachzählte. 1000 DM! Ich war reich. Mal abgesehen von der Tatsache, dass das Geld gar nicht mir gehörte, denn mein Konto war gerade mal mit 87,13 DM gedeckt.
Wenn die Maschine das Geld einfach so herausgab, dann war es ganz klar meins, beschloss ich und fuhr in die Innenstadt, Weihnachtsgeschenke kaufen. Für meinen Liebsten, der bald Geburtstag haben sollte, erwarb ich ein kuscheliges Mäusepaar, das die Mitarbeiterin eines Luftballonladens in einen aufgepumpten Ballon setzte, dazu eine Herrenuhr – als Zifferblatt mein Antlitz. Ich kaufte Weihnachtsdeko, einen Wok für meine Eltern, eine Kleinigkeit für die zukünftigen Schwiegereltern. Und die neue Mascara mit Ultra-Shine-Effekt brauchte ich natürlich auch noch.

Der Mann von der Sparkasse rief zwischen den Jahren an. Ich stellte mich tot. Als er mir auf dem AB schließlich mit „Konsequenzen“ drohte, ergab ich mich und stotterte das Geld in monatlichen Raten zu je 50 Mark ab.

„Und ihr? Lebt nur von Luft und Liebe?“, fragte ein Bekannter, als er bei mir und Radu zu Besuch war. Radu ärgerte sich – und besorgte uns kurz darauf einen Job bei einer bekannten Burgerkette. Ich fand das aufregend, hinter die Kulissen eines solchen Ladens zu blicken, lernte, wie welche Station funktionierte, bekam mit, wie man gegen die Lebensmittelverschwendung vorging, indem Hähnchenteile, die heruntergefallen waren, wieder aufgehoben und eingetütet wurden. Lernte, dass die Pattys nur von Männern gebraten wurden, weil die Verbrennungsgefahr zu groß war, und welche Soße ich wann wohin zu spritzen hatte. Und durfte umsonst essen!
Nach zehn Tagen war mein Appetit auf Fastfood gestillt, und zwar für mehrere Jahre. Als ich in der Folgewoche die Frühschicht zugeteilt bekam, gab ich auf. Radu hielt bis zum Monatsende durch.

Wir wechselten zu einer renommierten Versicherung, die uns einen 190er Mercedes versprach, wenn wir eine bestimmte Anzahl von Verträgen abgeschlossen und gleichzeitig neue Mitarbeiter akquiriert hatten, die für uns arbeiteten. Alles durchdacht, einleuchtend – und machbar. Nachdem wir zumindest einen von Radus Onkeln von den Vorteilen der Risikolebensversicherung überzeugt hatten, alle anderen Verwandten aber eher skeptisch waren, ließ sich unser Vorgesetzter etwas einfallen: Ich bekam die Adressen von drei Ehepaaren, die gerade Eltern geworden waren, kaufte drei niedliche Stoffhündchen für 1,99 und hielt eins bereit, als ich an der ersten Tür klingelte. Eine Frau Anfang dreißig machte auf.
„Sie haben gerade ein Kind bekommen“, setzte ich an. Erstaunter Blick. Offensichtlich wusste sie es selbst noch nicht. „Herzlichen Glückwunsch dazu.“
„Ich habe mir gedacht“, fuhr ich weiter fort, „dass ihr Kind vielleicht eine Versicherung gebrauchen könnte.“
Die Frau guckte skeptisch und mir ging auf, dass sie über meinen Besuch gar nicht informiert war.
„Und wie es so ist, bieten wir … bietet meine Firma gleich mehrere an.“

Nach diesem traumatischen Erlebnis war mir klar, dass ich fremden Leuten nichts aufschwatzen wollte. Als sich einen Monat später auch bei Radu immer noch kein 190er Mercedes abzeichnete, stiegen wir um auf Parfums und versorgten unseren gesamten Bekanntenkreis damit. Auch hier gab es ein durchdachtes Konzept: Die handelsüblichen Wässerchen seien so teuer, weil man für den Namen bezahlen würde, für das Image. Der Inhalt selbst war kaum etwas wert. Was lag da näher, als diesen in neutralen Flaschen zu verticken, für einen Bruchteil des Originalpreises. Clever!
Es lief auch etwas besser als mit den Versicherungen: Omas, Tanten und entfernte Bekannte kauften uns das eine oder andere Fläschchen ab, doch von Stufe vier, an der wir uns entspannt zurücklehnen konnten und wo die zwischenzeitlich von uns angeworbenen Mitarbeiter für uns das Geld verdienen würden, waren wir weit entfernt.

In der Zeitung sahen wir eine Anzeige, die unsere Aufmerksamkeit erregte. Von einer Reisetätigkeit war die Rede. Beim Vorstellungsgespräch hieß es, dass es gleich morgen losgehen würde. In Osnabrück. Das Ticket bekamen wir bezahlt. Wir freuten uns wie Bolle – und hatten gar nicht erst gefragt, was genau wir machen sollten. Egal! Am Bahnhof von Osnabrück empfing uns Rainer, packte uns in seinen Transporter und stellte uns im Hotel den anderen sechs Leutchen vor, die zur Drückerkolonne gehörten. Ich wurde Matthias zugeteilt, Radu Jessica, beide Mitte zwanzig – und wir zogen gleich am nächsten Tag los. Einarbeitung. Die sah so aus, dass ich Matthias bei seinen Geschäften zuschaute. Er klingelte an jeder Haustür in einem ländlichen Randbezirk und erzählte seine Story: von seiner unglücklichen Kindheit, seinem Aufenthalt in der Jugendvollzugsanstalt, von der Chance, die er durch den Zeitschriftenverkauf bekommen hatte. Schön und gut, das alles, nur wurden meine Füße kalt. Wir befanden uns mitten im Februar und ich hatte keine Idee davon gehabt, dass unsere Reisetätigkeit einen permanenten Außeneinsatz erfordern würde. In der Mittagspause wärmte ich mich an meinem heißen Kamillentee, dessen Wirkung schnell wieder verflog. Offenbar wirkten wir sehr durchgefroren und allgemein bemitleidenswert, denn die ältere Dame an der nächsten Tür ließ uns herein. Und unterschrieb. Übrigens den einzigen Vertrag an diesem Tag.
Radu und ich fragten uns beim Abend im Restaurant, das wir uns zur Feier des Tages gönnten, ab – ich hatte den Text, den ich abends zusammen mit Matthias auswendig lernen sollte, eigentlich schon gekonnt, da er ihn tagsüber einige Dutzend Mal aufgesagt hatte. Radu stockte noch an zwei Stellen. So ganz sicher waren wir uns nicht, wie wir den Job fanden. Doch das klärte sich am nächsten Morgen, als es ans Aufstehen ging. Ich nämlich wollte liegen bleiben.
„Macht mal ohne mich.“
Radu war einverstanden – unser Kolonnenführer nicht. Er setzte uns am Bahnhof Osnabrück ab, ließ die Tür zu seinem Transporter zufallen. Zu blöd, dass wir unser gesamtes Geld am Vorabend im Restaurant verpulvert hatten, mit der Aussicht, diese Woche gutes Geld zu verdienen. Ohne Fahrkarte stiegen wir in den Zug, was an sich kein Problem war. Der Schaffner drückte ein Auge zu, notierte unsere Namen und ließ uns bis Hamburg weiterfahren. Die Nachzahlungsaufforderung, die das Zweifache des regulären Preises ausmachte, kam kurz darauf. Wir stotterten den Betrag ab.

So konnte es nicht weitergehen. Das fand auch Radu, der sich zurückzog, um den Stellenteil der Zeitung mit den großen schwarzen und roten Buchstaben zu studieren. Diesmal wurde er fündig: „Kredit ohne Bonitätsauskunft“ stand da in Großbuchstaben. Zweihunderttausend für jeden, der nur wollte. Und wie wir wollten!
„Wir könnten uns in mein Heimatdorf absetzen“, sinnierte Radu. „Da findet uns niemand.“
Das stimmte tatsächlich, denn sein Land war weit weg und – wie soll ich sagen – nicht wirklich erschlossen; das Dorf stand nicht einmal auf der Karte.
„Dann sind wir gemachte Leute“, fuhr er fort.
Natürlich hatte er Recht. Dort, wo er herkam, war man schon mit 1000 Mark reich, mit zweihundertmal so viel würde sich uns ein Schlaraffenland eröffnen. Dort unten herrschte auch deutlich milderes Klima als hier im Norden – ich war schnell überzeugt und wir forderten telefonisch den Vertrag an.
Der kam per Nachnahme und sollte mit 400 Mark ausgelöst werden. Doof, irgendwie. Das hatten wir uns anders vorgestellt. In diesem kleinen Paket steckten vermutlich schon die Scheinchen, es lockte die Sonne des Südens. Radu pumpte seinen älteren Bruder an. Am nächsten Tag rannten wir glücklich zur Post.
Und stellten fest, dass das gar nicht so einfach war mit der Kohle. Im Umschlag steckte kein Zonk, aber die Ankündigung einer weiteren Sendung per Nachnahme. So kurz vor dem Ziel konnten wir nun wirklich nicht aufgeben – das würde einer Kapitulation gleichen!

Diesmal siegte die Vernunft. Wir schauten uns im Lokalblatt nach etwas Seriöserem um – und wurden fündig. Nur sind seriöse Jobs nicht Thema dieser Erzählung. Deshalb endet sie hier.

Und die Moral von der Geschicht’? Sei lieber nicht jung, da passiert nur Blödsinn.

Auf welche quatschigen Ideen ich mit Anfang zwanzig gekommen bin, lest ihr in der Satire Ich liebe Flöhe, Flöhe.