A very blind date

Ein ungewöhnliches Date schwebte mir vor. Mal wieder. Auf einem einschlägigen Dating-Portal rief ich nach den besten Ideen dazu auf. Die Vorschläge der männlichen Mitglieder trudelten nach und nach ein. Den Zuschlag bekam Einzahn. Seine Profilbilder verhießen zwar nichts Gutes, aber das war zweitrangig, denn wir hatten eine beinah wissenschaftliche Mission: herauszufinden, was an dem Gewese um die inneren Werte dran war. Wir wollten in ein Dunkelrestaurant. Ich gab Einzahn meine Zustimmung – endlich mal eine Verabredung, bei der ich mir die Haare nicht zu waschen brauchte! – und stand wenige Tage später vor der Tür des dunkelsten Restaurants in Hamburg, zusammen mit einigen knutschenden Mittzwanzigern. Schon Heiratsanträge seien hier gemacht worden, hatte ich im virtuellen Gästebuch des Ladens gelesen.

Beim Einlass nannte ich am Empfang meinen Namen.

„Ach, Sie sind das Blind Date!“ Die Dame freute sich sichtlich. Ich nickte und spürte die Blicke der Knutschepärchen auf mir. Wenn jetzt auch noch mein Date vorzeitig eintreffen würde, wären die 40 Euro in den Sand gesetzt, das Experiment gescheitert. Doch Einzahn tauchte nicht auf und wir, ich und die Pärchen, wurden von Gabriel, der stark sehbehinderten Bedienung, in einer Polonaise erst durch eine Lichtschleuse und anschließend zu unseren Plätzen in dem völlig abgedunkelten Restaurant geführt. Er empfahl uns, die Augen zu schließen, damit wir es leichter ertrugen, nichts zu sehen.

Im Raum herrschte Stille. Gabriel beschrieb uns das üppige Buffet, an dem wir uns gleich bedienen durften; die Paare tuschelten besorgt. Ich glaube nicht, dass gerade irgendjemand einen Antrag machte. Still war es. Die Stimmung wurde auch nicht besser, als Gabriel das mit dem Buffet für einen Scherz erklärte. Stille also.

Bis zum Eintreffen von Einzahn, der von Gabriel an meinen Tisch polonaist wurde. Ob er tatsächlich mit einem einzigen Zahn in seinem Gebiss ausgestattet war, vermochte ich angesichts der bescheidenen Lichtverhältnisse nicht zu erkennen. Vermutlich nicht, denn sein lautes Organ, mit dem er sich beim Kellner bedankte und mich begrüßte, ließ auf keine Lücken in Ober- oder Unterkiefer schließen. Der Händedruck war fest. Und irgendwie schafften wir es auch, uns mit Saftschorle und Mineralwasser zuzuprosten. Gabriel lachte im Hintergrund. Nach einer Stunde wusste der ganze Raum nicht nur, dass wir ein Blind Date hatten, sondern kannte auch Einzahns Lebensgeschichte von der kokssüchtigen Exfrau, bei der Schizophrenie diagnostiziert wurde, und war über die Farbe seiner Unterwäsche informiert. Wir hatten uns beide beschrieben, wobei ich den Fokus eher auf meinen Hut legte. Wahrscheinlich erwartete man von uns einen Heiratsantrag, aber ich würde sagen, der war eher Zukunftsmusik.

In der Zwischenzeit stieß ich auf etwas Wabbeliges in meinem Salat, traute mich kaum, draufzubeißen. Eine Mandarine. Ich erkannte auch einen Rosenkohl. Ach du meine Güte! Wie konnten sie mir das antun?! Von allen Gemüsesorten, die es gab, ausgerechnet die widerlichste zu verwenden. Na gut, ich wurde zwar am Eingang gefragt, was ich gar nicht mag, doch ich hatte abgewinkt, um schnell im Dunkeln verschwinden zu können. Nach überstandenem Rosenkohl folgte der Hauptgang und ich stochere in meinem Teller herum auf der Suche nach Nahrhaftem, erwische ein Hähnchenstück.

Wie gut, dass hier gute Manieren wurscht waren: Ich saß über meinen Teller gebückt, hielt die Gabel mit der ganzen Hand fest und musste nicht einmal wohlwollend nicken, wenn Einzahn eine seiner Ansichten zum Besten gab, musste keine interessierte Miene aufsetzen. Ich konzentriere mich auf die Dunkelheit, auf das Nichts – vielleicht war das die Lektion der heutigen Veranstaltung, eine Übung im Nihilismus? Das Konzept zumindest war clever: Man mietete ein Lokal, knipste darin das Licht aus, brauchte nicht einmal besonders qualifizierte Reinigungskräfte, null Deko, verkaufte das Essen für das Doppelte, stellte vom Arbeitsamt bezuschusste Bedienungen ein und ließ das Ganze unter „gutem Zweck“ laufen.

Einzahn setzte mich in Kenntnis darüber, dass er mit den Händen aß. Ich selbst hatte wohl nichts mehr auf dem Teller und sinnierte über die Wendung „Das Auge isst mit“ nach, an der mehr dran war, als man meinen könnte. Da war zwar Essen meinen Schlund hinabgewandert, ich konnte allerdings nicht behaupten, die Geschmacksexplosion, das ultimative Geschmackserlebnis gehabt zu haben. Einzahn sah das anders. Er wollte wiederkommen. Wohl mit einer anderen Frau. Seinen Vorschlag, im Dienste des Experiments einander abzutasten, quittierte ich nämlich mit einem freundlichen „Gehts noch?!“. Die Pärchen in meinem Rücken applaudierten.

Der Nachtisch kam, war – na ja, halt, wie Nachtische so sind. Ich befand das Experiment für abgeschlossen und ließ mich von Gabriel mittels Polonaise nach draußen bringen, durchquerte die Lichtschleuse, trat ins Licht, musste blinzeln. Bei der Empfangsdame bestellte ich einen Eistee zum Runterkommen; die sprach geschult in ihr Walkie-Talkie zu den Leuten im Inneren des Lokals: „Nummer 311, das Blind Date, möchte einen Eistee to go.“ Ich verschwand aus dem Laden, noch bevor Einzahn durch die Lichtschleuse in die Realität trat, wollte mir die über zwei Stunden aufgebaute Illusion eines Mannes mit undefinierbarem Haarschnitt, gelben Zähnen und Holzfällerhemd nicht zerstören lassen. Immerhin: Gabriel war nett gewesen.

Oder doch lieber anders daten? Zum Beispiel in einem prekären Stadtviertel von Hamburg? Hier geht es zur Satire „Käffchen in Wilhelmsburg“.
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Titelbild: © iStock/Ljupco

2 Kommentare zu „A very blind date“

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