400 Wanderungen hat Gunnarsson seit dem Jahr 2018 absolviert und dabei 5.755 Kilometer zurückgelegt. Er kennt fast jede Straße, jeden Weg in Schleswig-Holstein und ist immer wieder überrascht, Neues zu entdecken. Ich habe mit ihm gesprochen.
Macht wandern glücklich?
Ja! Jetzt ja. – Du musst das erst herausfinden, also erstmal anfangen zu wandern. Meine Anfänge waren durchwachsen, aber mittlerweile macht es Spaß und es macht auch glücklich. Weil ich es geschafft habe, die Wanderkilometer, die ich gehe – egal wie viele das sind – mit Inhalt zu füllen. Früher, als ich Touren über das Portal Meetup geleitet habe, war ich in einer Gruppe unterwegs. Heute wandern wir zu zweit, vielleicht mal zu dritt, oder ich ziehe allein mit meiner Kamera los. Das macht mich tatsächlich glücklich.
Du wanderst also lieber in einem ganz kleinen Kreis?
Ja, dann kann ich besser vom Alltag abschalten. Ich komme nicht mehr leer nach Hause, sondern voll mit den Dingen, die ich erlebt habe. Ich lege, wenn ich zurückkomme, nicht nur die Füße hoch, sondern habe Erinnerungen mitgebracht. Ich gehe auch nicht mit jedem wandern. Zum Beispiel lege ich Wert darauf, dass die Leute, die mitkommen, diese Emotion teilen können und nicht nur mitkommen, weil sie nichts anderes zu tun haben.
Interessant. Ich glaube, ich kann mit jedem wandern. Manchmal denke ich vor einer Wanderung: „Oh Gott, ich weiß gar nicht, was ich mit dem reden soll“ – und wenn man ins Wandern kommt, wird’s doch interessant. Man lernt Menschen da anders kennen.
Aber kommen wir auf das Alleinwandern zurück: Was stört dich am Wandern in der Gruppe?
Aus meiner Sicht sind das oftmals oberflächliche Gespräche, gerade wenn man Organisator ist. Du wirst oft gefragt …
„Wann sind wir da?“ (Lacht.)
„Wann ist Pause?“ zum Beispiel. Oder du sagst als Veranstalter: „Wir machen jetzt mal fünf Minuten Pinkelpause“ und fängst mit jemandem ein Gespräch an. Es kann vorkommen, dass plötzlich jemand sagt: „Also, die fünf Minuten sind jetzt schon vorbei …“ Da denke ich nur: „Alter, what the fuck? Wir sind hier mitten in einem der schönsten Naturschutzgebiete von Schleswig-Holstein, du kannst dich überall hinsetzen, das Wetter ist schön – was ist los?!“
Weil du eine Gruppe zusammenhalten musst, wirst du oft aus Gesprächen herausgerissen. Als Teilnehmer hast du da bessere Chancen.
Angefangen hat das Wandern im kleinen Kreis für mich während der Pandemie: Ich hatte mich aus größeren Gruppen zurückgezogen. Da ich im Gastronomiegroßhandel arbeite, war von heute auf morgen nichts zu tun. Das hat mich dazu bewegt rauszufahren und Kilometer zu machen, auch in der Woche. Ich hatte 2020 fast immer gutes Wetter, habe aber angefangen, auch Regentage mitzunehmen. Und sie zu genießen.
Du wanderst hauptsächlich in Schleswig-Holstein.
Früher war ich auch oft in Niedersachsen, aber durch den Baustellen-Hype habe ich mir gesagt: „Bleib mal im Norden.“ Und ich merkte: Der Norden hat so viele schöne Ecken. Ich habe mich ins Meer verliebt, Nord- wie Ostsee.
Der klassische Wanderer träumt von den Alpen, generell vom Gebirge. Du nicht – warum?
Heimatverbundenheit. Da, wo ich bin, mag ich es am liebsten. Ich bin gebürtiger Hamburger, wobei Hamburg kein klassisches Wandergebiet ist, auch wenn ich den Grünen Ring mag.
Aber auch Schleswig-Holstein ist keine typische Wandergegend wie zum Beispiel die Schweiz oder Bayern. Es hat einen ganz anderen Charakter, steht dem aber in nichts nach. Wobei ich das nicht beurteilen kann, weil ich kein Bergwanderer bin. Das, was ich auf Bildern sehe, ist wunderschön. Und dennoch hat Schleswig-Holstein unheimlich viel zu bieten: Moore, Wälder, Seen, das Meer …
Ist das aber trotz allem nicht langweilig? Die Landschaft in Schleswig-Holstein ändert sich ja auf einer Strecke nicht dramatisch. Ist es nicht eintönig, Schritt um Schritt zu setzen und immer dasselbe um einen herum zu haben?
Man kann die Tour auch andersherum gehen. (Lacht.) Aber das ist tatsächlich so – bis du es wieder vermisst. Wobei eine Region sich auch verändert. Das Meer ist anders, wenn das Eis kommt, die Nordsee, wenn der Sturm kommt. Wenn bei kälterem Wasser der Bernstein an den Strand gespült wird, dann gehst du nicht mehr wandern, sondern auch auf Bernsteinsuche. Du findest Ostseejade, wenn du genau hinguckst, Meerglas und so weiter. Wenn du im Winter an der Ostsee wanderst, ohne Menschen, dann hat das gleich einen ganz anderen Charakter. Es wird nicht langweilig, denn jedes Mal entdecke ich ein anderes Detail.
Mittlerweile gehe ich keine bestehenden Wandertouren mehr nach. Ich kombiniere lieber und erlebe viele Dinge neu.
Gerade neulich war ich im Travetal bei Sarau – ein Traum: Moor, Wald, die Trave. Super! Ich war bei gutem Wetter da und habe tolle Fotos mitgebracht.
Die Bilder gucke ich mir immer wieder an und versuche, besser zu werden. Wenn man wiederum mit dem Handy fotografiert, schaut man sie sich in der Regel nicht mehr an.
Was ist der Unterschied zwischen spazieren und wandern?
Meine Eltern gehen spazieren: Die bummeln so ein bisschen herum, gucken hier und da, trinken ein Käffchen. Beim Wandern hast du dir eine Tour ausgesucht und fährst dorthin. Wenn ich alleine gehe, wandere ich. Und mache Fotos. Ich komme schneller voran, wenn ich allein unterwegs bin als mit jemandem zusammen. Allein bin ich gern ein bisschen zügiger unterwegs, bleibe aber auch oft stehen und komme teilweise mit 400 bis 500 Fotos nach Hause. Wenn ich einen Seeadler sehe, halte ich an und drücke auf Serienaufnahme. Sobald er am Horizont verschwunden ist, gebe ich wieder mehr Gas.
„Wandern ist Laufen für Dicke“ habe ich mal irgendwo gelesen. Ich glaube, einige, die wandern, wissen, was damit gemeint ist.
Es ist mittlerweile eine Gewohnheit, diese Touren zu gehen. Mit Sport hat das für mich nicht so viel zu tun. Wenn ich aber Märsche von 50 Kilometern Länge mache, ist das eine andere Geschichte.
Okay, wandern ist für dich also kein Sport …
Es kommt darauf an, wie du das praktizierst. Meine weiteste Wanderung war 55 Kilometer lang; das hatte schon etwas mit Sport zu tun. Da du es in einer bestimmten Zeit schaffen musst, solltest du dich darauf vorbereiten. Dafür musst du fit sein. In meinem momentanen Zustand würde ich das nicht tun. Ich glaube, ich schaffe das, weil ich mich mental darauf einstellen könnte – ich gehe, bis mir die Füße abfallen. Wenn ich das will, mache ich das auch. Aber ich weiß, dass man noch zwei Wochen danach leidet. Ich habe schon Leute gesehen, die 100 Kilometer gelaufen sind und denen ich das locker zugetraut hatte; die waren danach einen Monat krank.
Was war mit denen?
Der, den ich meine, ist nach Hause gekommen, hat gegessen und alles war toll. Danach ist er zwei Wochen nicht vom Sofa hochgekommen. Er war ernsthaft krank und dermaßen ausgelaugt, dass er vier Wochen krankgeschrieben war. Ich bin der Meinung, dass diejenigen, die nicht fit sind, das nicht machen sollten.
Ich hatte immer Lust, die 100 Kilometer zu machen, habe es aber sein lassen, denn ich möchte nachts schlafen. Da musst du 24 Stunden durchwandern. Ich denke, das wäre nicht gesund.
Aber wenn du das machst, wenn auch „nur“ 55 Kilometer – das kann dir keiner nehmen. Du kannst unheimlich stolz darauf sein. Auch wenn die Urkunde und die Medaille, die du da bekommst, nichtssagend sind. Mich hat es mental stärker gemacht.
Ich habe auf diesen Märschen unheimlich nette Leute kennengelernt. Eine, mit der ich am Start ins Gespräch kam, hatte ich bei einem 31-Kilometer-Marsch nach 10 Kilometern wiedergetroffen; sie war am Humpeln. Ich meinte: „Und, schon am Humpeln?“ Sie darauf: „Nee, ich habe eine Prothese.“ Dann erzählte sie mir, dass sie mal einen Autounfall gehabt hatte und man ihr das Bein abnehmen musste. Und dann läuft sie 31 Kilometer … Das sind echte Menschen; so etwas erlebst du nur da.
Das Ganze fing für mich damit an, dass ich 2018 den Nordmarsch in Hamburg laufen wollte. Wir hatten in der Gruppe trainiert mit allem Drum und Dran – und drei Tage vorher werde ich sterbenskrank. Ich hatte Fieber und war total im Arsch. Viele dachten, ich will mich drücken. Das ist natürlich totaler Quatsch. Der Marsch findet in Hamburg statt, meiner Geburtsstadt, und ich will mich drücken! Deshalb hatte ich mir hinterher heimlich eine Karte für den MegaMarsch in Bremen gekauft – von einer, die krank geworden ist. Ich wollte keine Karte beim Veranstalter kaufen, sondern bewusst eine Krankheitskarte. Niemand wusste davon; ich war alleine da, habe aber einige Hamburger Leute zufällig am Start getroffen und bin die Tour schließlich mit denen gegangen.
Der Bremer Marsch ging über 53,5 Kilometer, gar nicht 50, wie angegeben. Wir sind bei brütender Hitze gewandert, 34 Grad. Ich hatte an der ersten Verpflegungsstation Banane gegessen – ich esse sonst nie Banane. Bei Kilometer 19 sollte sich das rächen. Dann war ich erstmal auf der Suche nach einer Toilette.
Das kenne ich: Am heißesten Tag des Jahres 2019 war ich 27 Kilometer auf dem Heidschnuckenweg unterwegs – und hatte mir bescheuerterweise ein Leberwurstbrot eingepackt, das ich beim Halbzeitpicknick aß. Kurz danach bekam ich Magenkrämpfe. Von da an war ich alle paar Meter im Gebüsch, bis ganz zum Schluss, und habe vor lauter Aufregung auch meine Jacke dort liegen lassen. Ich hatte einfach gar nicht bedacht, dass es eine schlechte Idee ist, ein Leberwurstbrot zum Wandern mitzunehmen. Das war eine richtige Vergiftung. – Aber erzähl weiter …
Nach 30 Kilometern dachte ich: „Es geht nicht mehr weiter.“ Bin aber weitergegangen. Die Trainingstouren über 32 Kilometer hatte ich locker absolviert. Bei Kilometer 40 hatte der Veranstalter kein Wasser mehr. Zum Glück war die Verpflegungsstation in der Nähe eines Altenheims; dort konnten wir uns am eiskalten Wasser aus dem Gartenschlauch bedienen. Salzstangen hatten die auch. Da bin ich aufgeblüht. Bei Kilometer 47 traf ich ein Pärchen aus Hamburg. Die beiden meinten, der Bremer MegaMarsch sei härter als der doppelt so lange in Hamburg; sie hatten beide mitgemacht.
Bei Kilometer 50, nach 11 Stunden und 27 Minuten, waren wir nicht am Ziel! Das Problem: Der Weg war am Ende nicht richtig ausgeschildert. Die Frau, die für die Markierungen verantwortlich war, hatte auf den letzten Metern einen Fahrradunfall gehabt und konnte den Weg nicht weiter kennzeichnen. Die Leute sind ab der Stelle irgendwie weitergegangen.
Nach der Tour, am Bahnhof Delmenhorst, hatte ich das Gefühl, als wenn ich drei Flaschen Wodka getrunken hätte. Mir war so schlecht. Jemand sagte zu mir: „Wie siehst du denn aus?“, gab mir eine Salztablette und Reiswaffeln. Das hatte innerhalb von drei Minuten die Wirkung, als wenn sich mein Akku wieder komplett aufgeladen hätte. Da war mir klar: Auf solchen Touren konnte man nicht nur 11,5 Liter Wasser trinken, sondern musste auch Mineralien zu sich nehmen.
Und die zweite Moral von der Geschicht‘: Ich esse nie wieder Banane.
Warum wandert man überhaupt 50 Kilometer?
Ausprobieren, etwas Neues machen. Ich hatte gerade nichts anderes zu tun. Es war auch ein Hype, der 2016 begann. Am 9. Juni 2018 nahm ich am MegaMarsch in Bremen Teil, zwei Wochen später bin ich den Marsch zum Meer gegangen, 55 Kilometer. Später noch ein paar andere Märsche. Da habe ich aber mein Isomax dabeigehabt. Für mich stand nicht die sportliche Leistung im Vordergrund, sondern das Erlebnis. Wie bunt das alles war. Die kurzen Gespräche zwischendurch waren meist sehr motivierend und lustig. Es hat Spaß gemacht, den Anfang von diesen Touren mitzuerleben.
Sie bringen einen auch im Kopf weiter; davon zehre ich bis heute. Ich weiß, was ich kann. Wie ich mich darauf vorbereitet habe, wie meine Wandern sich weiterentwickelt hat. Das war ein Erfahrungsgewinn.
Was ist denn deine Wohlfühlstrecke – rein von der Länge her?
Das kommt ein bisschen auf die Jahreszeit an. Unter 12 Kilometern mache ich gar nichts. Ansonsten wären das momentan zwischen 12 und 25 Kilometern.
Nach welchen Kriterien suchst du deine privaten Wanderstrecken aus?
Da bin ich superspontan. Ich schaue an dem Tag selbst, wozu ich Lust habe. Wenn ich alleine losfahre, dann ist das teilweise wirklich so, dass ich nicht weiß, ob ich auf der A7 weiter in Richtung Flensburg fahren soll oder in Richtung Kiel.
Das heißt, du steigst irgendwo aus und gehst los?
Nein, ich weiß schon, wo ich anhalten kann. Ich kenne die Gegend schon. An der Ostseeküste habe ich alles abgewandert, von Lübeck bis nach Flensburg. Ich bin der Meinung, ich habe jedes Moor in Schleswig-Holstein gesehen. Ich kenne alle Küstenabschnitte und teilweise auch das Hinterland, weil ich in Kreisen gegangen bin. Und wenn mir das Hinterland irgendwo besonders gut gefallen hat, habe ich ganz in der Nähe einen weiteren Kreis gezogen, sodass ich im Prinzip beim Wandern Olympiaringe ziehen konnte.
Manchmal fahre ich auch zum Hamburger Stadtpark, gehe einfach los, ohne Plan, und gucke, wo ich lande. Natürlich nehme ich meinen Fotoapparat mit. Danach laufe ich vielleicht nach Wandsbek, wo ich früher gewohnt habe, und schaue, ob es den Bäcker von früher noch gibt. Den Bäcker Nehberg, der zum Amazonas gereist ist – bei dem habe ich sonntags immer Brötchen geholt. Und bin ganz überrascht, die alten Sachen wiederzufinden, die ich aus meiner Kindheit noch in Erinnerung habe. Ich gehe gern an Orte zurück, mit denen ich besondere Erlebnisse verknüpfe. Um es noch einmal neu zu erleben und zu sehen, wer da jetzt wohnt. Am liebsten würde ich klingeln.
Ich bräuchte von dir jetzt die ultimative Wanderstrecke, bitte. Einen Weg, bei dem du sagst: Muss jeder mal gesehen haben.
Oh, da gibt es so viele, in Schleswig-Holstein habe ich über 400 Touren gemacht. Das Sarauer Travetal gehört sicherlich zu den Top 5. Fehmarn hat unheimlich schöne Natur und gehört dazu. Du hast da die Küste, Wiesen, kleine Kanäle, Salzwiesen, Naturschutzgebiete, verschlungene Pfade, menschenleere Strände, Möwen. Dann der Grüne Ring von Hamburg. Oder das Habernisser Moor in Ostangeln.
Welchen praktischen Tipp kannst du jemandem geben, den die Wanderlust gepackt hat?
Das hängt ganz von der Tour, der Streckenlänge und vom Wetter ab … Gute Verpflegung zum Beispiel. Genug zu trinken, Stichwort Elektrolyte. Wenn du nur spazieren gehst, brauchst du das natürlich nicht, dann kannst du dir bei deinem Eckitaliener deinen Zucker holen.
Ich denke, das, was den meisten fehlt, ist Motivation, auch wirklich loszufahren, die weiten Strecken in Kauf zu nehmen. Du musst schon echt Bock darauf haben und es zu deinem Hobby machen. Wenn du das so nebenbei machst, dann wird dat nix. Dann hörst du auch schnell damit auf. Aber wenn du losgehst, findest du schnell heraus, ob du dazu Lust hast oder nicht.
Ich denke weiter, man sollte beim Wandern immer das tragen, was für einen am bequemsten ist. Und wenn einer in Sandalen die Berge überquert – oder noch besser: barfuß –, dann soll er das machen.
Ich war mal auf den Nordpfaden joggen, damals im Dör’t Moor, und war ganz überrascht, wie magisch und verwunschen die Gegend war, richtig toll. Dann hatte ich im Jahr darauf einen Kumpel an dieselbe Stelle mitgenommen und fand es eher normal; ich weiß nicht, warum. – Spielt deiner Meinung nach die eigene Stimmung beim Wandern eine Rolle?
Ja, ich bin mal eine Tour von jemandem bei Bad Segeberg nachgegangen. Das Wetter war schlecht. Ich fühlte mich unter Zwang, was zu machen, hatte aber nicht so richtig Bock. Dementsprechend fand ich die Strecke total scheiße und habe auch gar nicht geantwortet, als derjenige mich fragte, wie mir seine tolle Tour gefallen hätte. Das hängt immer noch ein bisschen nach. Jetzt, viel später, denke ich: „Vielleicht musst du das tatsächlich nochmal gehen – wenn du wirklich bereit dafür bist.“
Ich selbst bin mal das zweite oder dritte Mal von Undeloh zum Totengrund gewandert, die klassische Kuchenpilgererstrecke. Als Spätaufsteherin war ich erst um 14 Uhr gestartet. Abends auf dem Rückweg hatte ich die Gegend für mich allein. Da lag eine mystische Ruhe über der Lüneburger Heide. Diese Stille, die durch kein Gespräch getrübt wurde, wirkte ganz anders. Auch die Luft ist abends anders. Allgemein die Stimmung. Aber solche Erlebnisse kannst du nicht wiederholen.
Ja, ich weiß, was du meinst, deswegen laufe ich teilweise zum Sonnenaufgang raus.
Was war dein schrägstes Wandererlebnis?
Ich hatte mal beim Wandern von Norderstedt Mitte nach Ohlstedt über die Alsterniederung einen dabei, der mit Fußball-Stollenschuhen ankam. Den habe ich gefragt: „Warst du schon mal wandern?“
Er: „Nö.“
„Du gehst mit Stollenschuhen?“
„Ich brauche doch Grip“ war seine Antwort.
Der hat das eiskalt durchgezogen, war hinterher aber so im Arsch … Auf dem Rückweg hat er in der vollbesetzten U-Bahn seine Schuhe ausgezogen; das sah aus! Ich bin ja vieles gewohnt, aber als ich seine blutigen Quanten sah, dachte ich: „Wie bist du überhaupt hergekommen? Kann man damit noch gehen?“
Den habe ich nie wiedergesehen. Aber er hats durchgezogen, auf über 20 Kilometern.
Auf der anderen Seite gibt es bei Wanderungen die Leute, bei denen du denkst: „Wollen die jetzt über die Alpen gehen?!“
Hahahaha.
Aber sonst weiß ich nichts Schräges …
Mir wurde zugetragen, du wärst bei einer Wanderung mal in einen Graben gefallen …
… Neujahrswanderung Himmelmoor, Quickborn. Werde ich nie vergessen. Minus zwei Grad, aber strahlender Sonnenschein – ein Traum. Himmelmoor ist schön und vor allem bei mir um die Ecke. Am Rande des Himmelmoors war ein Feldweg, links und rechts davon jeweils ein Graben. Durch die Regenfälle der vorangegangenen Wochen war der Feldweg überflutet, sodass wir gezwungen waren, auf dem Wall zwischen dem Weg und dem Graben zu gehen. Ich musste ja vorgehen. An einer Stelle wollte ich mich an einem Baum entlanghangeln, hielt daran fest – und er gab nach. Irgendjemand sagte im Nachhinein: „Es muss ein Flachwurzler gewesen sein.“ Zusammen mit diesem Baum fiel ich also rückwärts mit meinem Rucksack in den Graben rein. Ich war gleich aufgestanden, stand aber bis zur Hüfte im Wasser. Zur Wanderin hinter mir sagte ich: „Nimm mal mein Handy, damit das nicht nass wird.“ Der Rest war egal. Aus meinen Schuhen floss wie ein Wasserfall das Wasser raus, als ich wieder oben war.
Und das bei minus zwei Grad …
Ganz genau. Bis dahin waren wir sechs Kilometer gegangen, sieben hatten wir noch vor uns. Die Frage war: Gehe ich zurück oder laufe ich die Tour einfach weiter? Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden.
Das Sabschen in den Schuhen war irgendwann weg, die Hose trocken; das Wetter war ja gut. Ich gehe nie ohne Unterhose los – ich weiß, das machen andere Leute anders. Im oberen Hüftbereich war es dementsprechend noch ein bisschen nass. Und in den Schuhen. Alle sagten zu mir: „Morgen hast du eine Blasenentzündung!“ Tatsächlich war ich froh, als ich dann zu Hause in der Badewanne saß.
Und es ist nichts passiert?
Nee. Keiner gestorben, das Handy ist auch heil geblieben.
So etwas möchte ich lieber nicht erleben.
Wer soll die Gruppe denn weiterführen? Ich finde auch gar nicht, dass das ein schräges Wandererlebnis war. Das empfinde ich nicht so. Es ist einfach passiert. Vielleicht gehört so etwas mit dazu, wenn man so viele Kilometer latscht.
Danke dir für das witzige und kurzweilige Gespräch!
Demnächst erscheint eine Satire zum Wandern in Deutschland – schau gern wieder rein!
Und hier geht es zu Gunnarssons Wanderungen und Fotos auf Komoot.