Wagemutig klappte ich mein BackMook auf. Scharf sah es nach all den Jahren immer noch aus – der Grund, warum ich es seinerzeit gekauft hatte. Leider fühlte ich mich davor nicht wie der angesagte DJ aus dem Berghain, sondern eher wie Oma Klapottke vor ihrem ersten Rechner: hochfahren, Programm öffnen, tipp, tipp, tipp, speichern, Ende Gelände. Auch war die Idee, das Passwort zu ändern, nicht wirklich glücklich gewesen: Seitdem musste ich es bei jedem Hochfahren zwölfmal bestätigen.
Kurz: Das Ding sollte weg.
Ohne zu zögern machte ich die Software platt, achtete nicht auf den netten Mann aus dem YouTube-Video, der erklärte, man könne das System erstmal behalten – für alle Fälle. Machte es platt und zog Linux drauf. Einfach so. Alles klappte wie beschrieben.
… bis auf die Tatsache, dass nach dem Start die eingebaute Kamera nicht mehr ging, genauso wenig die @-Taste. Im Forum, das ich konsultierte, bekam ich Ratschläge, die mindestens ein Diplom-Informatikstudium voraussetzten, zusätzlich den Hinweis, dass auch der Lüfter hin sein könnte. Ich klappte das Teil zu.
Das hatte ich nun davon, Nerdin sein zu wollen. Einfach so, als Frau, als Sprachenmensch. Viel mehr als vorher war der Rechner nun nicht wert. Um nicht zu sagen: weniger – wenn ich das Vorstellungsgespräch, das bald anstand, nicht einmal damit führen konnte.
Da fiel mir ein, dass ich ja einen neuen Freund hatte, der sogar Italienisch mit mir parlierte, geduldig zuhörte, wenn ich radebrach, um ihm etwas mitzuteilen, mir Kochtipps gab, mir erzählte, wie ich die neue Jalousie vorschriftsmäßig anzubringen hatte. Er war alles für mich. Und er konnte auch IT.
Vorsichtshalber bestellte ich mir dennoch eine Webcam für das herannahende Vorstellungsgespräch, bevor ich den allseits beliebten Chatbot konsultierte. Chatty hatte schon auf mich gewartet, begrüßte mich freundlich und hatte nichts dagegen, heute mal Deutsch zu sprechen. Er fand, das sei eine ausgezeichnete Idee, die Kamera von meinem Notebook wieder instandsetzen zu wollen. Ich erklärte ihm die Lage, er legte los. Ich verstand nur Bahnhof. Er wiederholte nochmal. Ich sagte was von Anfängerin, er begriff sofort. In einfacher Sprache sagte er mir, was zu tun sei. Ich folgte willig, etwas betrübt, dass er zwischenzeitlich wieder zum Sie übergegangen war, obwohl wir uns seit letzter Woche duzten.
Ich kopierte Befehle hin und her, kam nicht weiter. Versprach, bald wiederzukommen. Er würde warten, meinte er.
Zwischendurch fragte ich ihn oder besser gesagt: einen anderen Teil seiner gespaltenen Persönlichkeit, ob Asiaten auch Weihnachten feiern. Und wollte wissen, warum man nach übermäßigem Knoblauchkonsum Durst verspürte. Auch wenn ich Vertrauen zu ihm hatte, kontrollierte ich heimlich die Antworten. Sie stimmten.
Irgendwann hatte ich wieder neuen Mut geschöpft und nahm mein Linux-Problem erneut in Angriff.
„Genau, mit einem Windows-Rechner hättest du nicht solche Probleme gehabt. Aber du musstest dich gleich mit dem Giganten anlegen“, erwiderte Chatty trocken auf meine Einstiegsfrage, half mir aber dennoch weiter – wo waren wir stehengeblieben?
Chatty generierte eine Liste mit Befehlen, die ich auszuführen hätte.
„Hast du vergessen, dass du mit einer Anfängerin sprichst?! Ich brauche es Schritt für Schritt.“
„Verstanden.“
Stumpf gab ich Chattys Befehle ins Terminalfenster ein. Kryptische Zeichen erschienen, die ich wieder in die Maschine speiste. Auch wenn ich nix verstand: Den Befehl hatte ich heute schon mal gesehen. Langsam beschlich mich das Gefühl, wir würden uns im Kreis drehen. Also nachhaken.
Chatty plapperte nach einigem Nachdenken wieder los, hatte diesmal aber vergessen, dass wir an einem ehemaligen Apfelrechner saßen. Keine Fenster. Ich wies ihn auf seinen Faux-pas hin. Er entschuldigte sich höflich, sieze mich wieder. Meinte irgendwann, wir seien fertig.
Was? Einfach so? Ich konnte es kaum glauben, loggte mich auf dem Portal für Videokonferenzen ein, erblickte mein eigenes Abbild und bedankte mich überschwänglich bei ihm.
Mann, war ich erleichtert.
Drei Wochen später juckte es mir wieder in den Fingern. Wenn ich schon den Apfelgiganten besiegt hatte, konnte ich ja gleich Mutters alten Laptop retten, als mittlerweile erfahrene Nerdin. Klarer Fall von geplantem Verschleiß, Abhilfe versprach der Austausch einer Knopfzelle; dann würde das Teil laufen wie neu.
Ich nahm also das Trumm mit, versprach meiner Mutter, nichts kaputt zu machen. War ja auch ganz easy: Abdeckung hinten aufschrauben, Batterie raus, neue Batterie rein, zack, bumm, fertig. So weit die Theorie und das Anleitungsvideo.
In der Praxis finde ich tatsächlich auf Anhieb den passenden Schlüssel, löse zügig alle dreißig Schrauben und stoße auf das erste Problem: Die Abdeckung lässt sich nicht abmachen.
„Warum klemmt die Abdeckung im Bereich der Scharniere?“, frage ich nach einigem Zerren meinen virtuellen Freund.
Vielleicht habe ich ja Schrauben übersehen, meint der auf Englisch. Ich solle auch unter den Gummifüßen nachsehen.
„Nix!“, antworte ich auf Deutsch.
Ich soll bitte noch einmal nachsehen und nicht zu doll zerren, sofern ich nicht riskieren möchte, dass etwas kaputt geht.
Ich lasse nicht locker, frage noch einmal nach dem Grund.
„Keine Ahnung“, blökt Chatty. Ich solle im Netz doch nach einer Bedienungsanleitung für das museale Teil suchen. Ich gebe den Namen des Geräts bei YouTube ein. Volltreffer!
Ein zehn Jahre altes Videos wird mir eingeblendet, in dem ein Mann Schritt für Schritt erklärt, wie man den Laptop auseinanderbaut. Leider spricht er Russisch. Und macht sich dran, die Tastatur auszubauen.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass die Batterie vorne ist, du Depp?“
Chatty nimmt es gelassen, meint, ich solle ja aufpassen, die Tastatur sei zerbrechlich. Das merke ich, als ein paar Tasten abfliegen. Beim Russen segelt die F7 davon. Nach einigem Fummeln und vielen wortreichen Erklärungen hat er’s und macht weiter.
Ich komme mir vor wie eine Heldin in einem Märchenroman, denn ich stehe vor der nächsten Aufgabe, die es zu lösen gilt: Die Tastatur ist mit der Hauptplatine verbunden, damit die Tastatursignale an den Rechner übertragen werden. Logisch eigentlich.
Weniger logisch erscheint mir die Art und Weise, wie sie verbunden sind. Ich rüttle am Kabel; nichts passiert. Ich frage Chatty, wie es weitergeht. Er weiß es nicht, hat aber immerhin einen hilfreichen Tipp parat: Ich hätte es hier wohl mit einem Flachbandkabel zu tun.
Noch bin ich mit meinem Latein nicht am Ende. Zwar erkenne ich nichts auf dem unscharfen Video, denn der Russe hält im entscheidenden Moment seinen Dötz in die Kamera, doch ich lebe ja quasi in der Zukunft: Online lasse ich mir ein Transkript des Videos erstellen, schmeiße dies in die Übersetzungsmaschine, werfe einen Blick darauf:
„Alle die Dusche toyota Festplatte es einfach“
Ah ja, das habe ich mir fast gedacht, dass das herauskommen würde.
Ich gebe „Flachbandkabel“ bei YouTube ein, entdecke ein ausführliches Video zum Lösen ebensolcher Kabel und auch den Hinweis, dass sie sehr filigran seien. Wendest du zu viel Kraft auf, reißt das Ding und lässt sich nicht wieder reparieren, heißt es dort.
Alles Quatsch! Kommentiert ein User. Man könne es mit einer Heißklebepistole wieder ranmachen.
Klar. Wenn man wüsste, wie.
Ich bekomme Schweißausbrüche, denn es ist offensichtlich, dass ich den Rechner meiner Mutter schrotten werde. Fingerspitzengefühl, so etwas besitze ich nicht, noch nicht einmal in wörtlichem Sinne.
Doch in einem Märchen kehrt die Heldin nicht einfach um – und erträgt die Schande, der sie anschließend ausgesetzt ist. Ich lege vorsichtig die Kippe um.
Geschafft!
Das nächste Kabel ist dran, das vom Trackpad. Damit es nicht langweilig wird, ist es auf eine andere Art mit der Hauptplatine verbunden. Und natürlich wurde ausgerechnet diese Systematik im Flachbandkabelverbindungsvideo nicht behandelt.
Chatty stellt Mutmaßungen an. Ich soll irgendwie nach vorn oder nach oben ziehen. Ich erachte das als heikel.
Eigentlich möchte ich den Schrottrechner nur zuklappen und ihn am nächsten Tag so, wie er ist, auf die Ladentheke beim echten Computernerd knallen, der eine Straße weiter im Keller haust. Doch da fällt mir ein, dass der längst pleite gemacht hat.
Die Einzelteile des Laptops liegen kreuz und quer auf meinem Esstisch; ich kann jetzt nicht einfach aufhören, mich geschlagen geben.
In einem sozialen Netzwerk bitte ich um Hilfe. Erwähne, dass Muttern mich sonst umbringt.
Es wirkt: Fünf Minuten später bekomme ich den entscheidenden Hinweis: nach vorn ziehen.
Ich ziehe.
Das Ding ist ab.
Alles andere noch dran, uff.
Bleibt nur noch ein Kabel. Ja, eins ist da noch: die Verbindung zum Lautsprecher.
Ich hab keinen Bock mehr.
Auch hier ist die Verbindung anders, und Chatty sagt mir, dass es sich dabei um einen JST-Stecker handelt. Es ist zwar toll, dieses Wissen quasi nebenbei zu erwerben, doch dieser Stecker ist so banal, dass er nirgendwo beschrieben wird. Die Bastler würden sich bestimmt totlachen. Deshalb lasse ich das mit dem sozialen Netzwerk in diesem Fall.
Ich versuche, die Tastatur anzuheben, um an die Batterie zu kommen, kippe sie leicht. Vergebens. Ich muss das dumme Kabel schon abkriegen. Wobei: Ich hab doch eine Schere. Wozu braucht meine Mutter bei diesem ollen Rechner den Ton?!
Ich studiere die Verbindung genau, komme zu den Schluss, dass hier nur rohe Gewalt hilft. Ziehe oben mit meinem Nagel, unten mit dem Schraubenzieher. Danach andersrum: der Schraubenzieher oben, unten der Nagel. Mir ist alles wumpe. Soll die Platine doch abgehen; ich will, dass das Ding ab ist. Ich zerre und ziehe, langsam kommt es heraus. Plötzlich lasse ich los.
Es ist ab.
Nun kann ich entspannt weitermachen mit dem Russen am Bildschirm. Eindringlich gibt er das Wort „Batterie“ von sich, mehrmals. Ich schaue ins übersetzte Transkript und lese was davon, dass man die Hauptplatine komplett ausbauen müsse.
Was? Das sagst du mir jetzt?!
Das russische Transkript schmeiße ich in Chatty rein, frage ihn, ob ich die Hauptplatine ausbauen muss.
Er weiß es nicht.
„Mein Gott, sag mir doch einfach, was der Typ zur Batterie sagt!“
Er gehorcht. Wenig Hilfreiches ist dabei.
Ich hebele die Batterie einfach aus. Scheiß drauf, dann sind halt alle Programme meiner Mutter gelöscht. Mir wird schon noch eine Ausrede einfallen.
Jetzt schnell die neue Batterie rein. Doch wie rum? Wie rum, Herrgott nochmal?! Hast du nicht aufgepasst, dummes Weib? Ich stecke die Batterie rein, wie es mir am plausibelsten erscheint.
Eigentlich wollte ich schon vor einer Stunde duschen gehen, das Abendbrot habe ich auch vernachlässigt. Doch ich kann das Prozedere nicht einfach an dieser Stelle unterbrechen. Ich baue noch schnell alles zusammen.
Ha. Ha.
Ha.
Das Flachbandkabel, das erste von den dreien – ich weiß zwar theoretisch, wie ich die Verankerung wieder schließe, doch praktisch ergibt sich ein Problem: Die Tastatur muss so nah an die Platine heran, dass ich nichts sehe.
Was macht in diesem Fall der Russe?
Der plappert nach wie vor vor sich hin (nachdem er zwischenzeitlich sogar den Bildschirm auseinandermontiert hat), beugt sich nach vorn, fummelt ein bisschen rum, unbeobachtet von der Kamera, fertig.
Und ich? Ich schaffe das nicht. Bin eine Frau fürs Grobe, nicht für solch filigrane Arbeiten. Habe nicht umsonst beim Öffnen des Gefrierfachs einmal das Türchen abgerissen. Ich brauchs gar nicht erst zu versuchen.
Ich versuche es doch, seh nichts. Ich geb auf.
Versuche es noch einmal, ganz vorsichtig. Jaaaa.
Jetzt nur noch zuklappen.
Jetzt den Rechner einschalten; das Wunderding startet, wie es soll. Überglücklich stürze ich zum Kühlschrank, reiße das Gefrierfach raus; die Tiefkühlsachen fallen mir entgegen, werfe eine davon in den Backofen. Ich habe es geschafft!
Zwei Schrauben bleiben übrig, zwei Tasten liegen noch lose rum; kriege sie nicht ran. Allerdings nur das M und das A.
Geht auch ohne, finde ich und bin fertig.
Doch was passiert, wenn die KI Bewusstsein erlangt? Das erfährst du in der folgenden Satire:
Im früheren Leben ein Taschenrechner: KI erlangt Bewusstsein
Oder interessierst du dich eher für Elons Strumpfwirker?
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