„Vielleicht hätte ich bis heute keinen Geschlechtsverkehr gehabt“

Trotz seines stabilen Lebens als Beamter war Thomas über längere Zeit den Drogen verfallen. Wie es dazu kam und wie er wieder davon losgekommen ist, liest du in diesem Interview.

Wie hat alles angefangen, Thomas? Wie bist du mit Drogen in Kontakt gekommen?

Ich fange mal ganz von vorne an: Mein großer Bruder hatte immer mal Drogengeschichten erzählt; er war damals mein Hero. Deshalb hatte ich mir als Kind schon auf die Bucketlist gesetzt, dass ich mal LSD nehmen möchte. Später hatte ab und an mal jemand Haschisch mit in der Schule. Da ich auch so cool sein wollte wie die anderen, habe ich bei jeder Gelegenheit, die sich anbot, mitgezogen. In irgendeiner Pause bin ich mal zusammengeklappt – und hinterher hatte ich Religion. Mir war übel und ich musste noch eine Doppelstunde Religion durchhalten – das war hart.

Nach und nach wurde es mehr mit dem Kiffen. Ein Freund von mir hatte damals einen Kalender gehabt, in den er eintrug, was wir so machten. An Tagen, an denen wir gekifft hatten, malte er eine Rauchwolke. Die Rauchwolken nahmen im Laufe der Zeit zu. Und irgendwann haben wir bei jeder Gelegenheit gekifft.

Danach kam die Zeit, in der wir an den Wochenenden in den Boberger Dünen saßen und uns die Pappen, also LSD, eingeworfen haben. Einer aus unserer Gruppe ist damals in den „Tunnel“ gegangen, eine Technodisko, und hatte dort Ecstasy geschlonzt. Wie alle anderen auch war er völlig begeistert. Zwei Wochen später war ich auch da, habe Ecstasy genommen und bin völlig abgegangen. Vorher konnte ich gar nicht tanzen, an dem Abend aber lief das wunderbar. Ich war sonst sehr schüchtern, an dem Abend aber habe ich Leute zugedröhnt. Das lief! Und dann war sofort die Gier da: nächstes Wochenende wieder machen! Es ging relativ schnell, dass man vor dem Wochenende ganz hibbelig wurde und schon auf der Fahrt dorthin ein Teil genommen hat; so hießen die Ecstasypillen. Wir haben auch Amphe genommen, also Speed. Speed ist von seiner Wirkung her relativ kalkulierbar und hat nicht Psychedelisches an sich. Man ist ziemlich schnell high und in der Lage, stampfend zu tanzen. Es war ganz cool, alle haben sich für mich interessiert – das rockte sich dann ganz schnell ein. Es folgten Goa-Partys und innerhalb von einem Vierteljahr war es so, dass ich am Wochenende nichts anderes gemacht habe, sechs Jahre lang. Unsere Clique hat sich danach recht schnell gespalten: in die, die kifften, und die, die soffen. Die einen mochten die anderen nicht leiden. So hatte ich plötzlich nur noch drogenaffine Menschen um mich herum. Alle. Von da an war ich drin.

Wie alt warst du zu dem Zeitpunkt?

26, 27. Ich war auf jeden Fall schon mit meiner Ausbildung fertig und verbeamtet.

Hast du nur am Wochenende Drogen genommen?

Die harten Drogen ja. Aber unter der Woche habe ich gekifft, und zwar täglich. So habe ich im Prinzip fünfzehn Jahre breit verbracht.

Wie alt bist du jetzt?

Über 50.

Warum hast du das alles gemacht? Um dazuzugehören?

Nicht nur. Auch um mich locker zu machen – ich war ja extrem gehemmt. In die Diskotheken bin ich gegangen, weil die anderen hinwollten; ich fand die immer blöd und war immer froh, wenn wir wieder nach Hause fuhren. Und da war ich nun zum ersten Mal fünf, sechs Stunden auf dieser Tanzfläche gewesen und wollte gar nicht mehr herunter. Das war eine völlig andere Erfahrung, ziemlich verlockend. Die jungen Frauen strahlten mich an – vorher hatte ich nie eine Freundin. Am Tag nach diesem Diskobesuch kamen Leute zu mir und meinten: „Ich habe dich auf der Party gesehen. Cooler Tanz!“ Da geht man natürlich auf, vor allem wenn man ein Mensch mit geringem Selbstbewusstsein ist, wie ich es damals war.

Wie hast du dich nach der Einnahme von Drogen sonst noch gefühlt? Wie hast du es erlebt?

Es hat Jahre gedauert, bis ich halluzinogen abgegangen bin. Aber einmal hatte ich Pilze genommen, bei einer Anti-Atomkraft-Party neben dem Salzstock in Gorleben – da ging es los: Alles hatte auf einmal Augen, auch die Bäume. Die haben mich angeguckt. Die Birken hatten blaue Augen. Alles winkte. Das war sehr angenehm. Ich hatte mich hingelegt und bin im Boden versunken. Das Moos ging mir bis über die Augen und ich guckte da durch. Als ich wieder nach Hause kam, fühlte ich mich in meiner Wohnung wie ein Riese. Die Wohnung war so winzig. Ich bin sofort raus. Meine Wahrnehmung war zum einen verzerrt, aber auch richtig unangenehm. Seitdem hasse ich meine Wohnung, auch wenn ich längst woanders wohne. Ich bin nicht gern zu Hause – vielleicht hat das etwas mit diesem Erlebnis zu tun.

Wie kam es zu der Entscheidung, mit den Drogen aufzuhören?

Da spielen diverse Faktoren mit hinein: Das letzte Mal, dass ich Pilze genommen habe, war mit einem Kumpel beim Wildcampen. Wir haben den Wagen an der Straße stehen lassen und sind mit dem Bollerwagen zwei Kilometer in den Wald eingetaucht, haben dort Pilze genommen: Mein Kumpel spürte die Wirkung und kollabierte sofort, kippte einfach um. Da stand ich nun und hatte das Problem, dass mein Kumpel da lag – und bei mir gingen die Leuchten auch langsam an. So breit, wie ich war, konnte ich ja nicht zur Straße gehen und einen Krankenwagen rufen. Relativ schnell ging es mir dann auch richtig dreckig. Irgendwann kam er wieder zu sich, war total gut drauf und mir gings schrecklich. Was dann passiert ist, werde ich nie vergessen: Ich baute einen Joint und die Grasbrösel leuchteten in Neonfarben. Von den Fingern, die das Papier drehten, fiel das Fleisch ab, sodass ich Knochenhände hatte. Das war extrem unangenehm. Dann erinnere ich mich daran, dass einige Schwalben hochstiegen und Muster flogen. An der Stelle ging bei mir wieder das Licht an: wunderschön. Ich wollte ins Auto steigen und zur nächsten Party fahren. Aber mein Kumpel weigerte sich mitzukommen. So konnte ich meine Energie nicht ausleben. Das war im Endeffekt auch okay, aber der Anfang war so schlimm, dass ich nie wieder Halluzinogene genommen habe.

Die Pilze hattest du im Wald gesammelt?

Nein, die sammelt man auf Wiesen.

Woher wusstest du genau, was du sammeln solltest?

Wir alle hatten das Buch „Halluzinogene Pilze unserer Heimat“, es war unser Standardwerk im Bücherregal.

Wie ließ sich der Drogenkonsum mit deiner Arbeit vereinbaren?

Der Montag war immer schrecklich. Ich kam sonntags um 23 Uhr nach Hause, hatte seit Samstag Abend nicht geschlafen – und Montag Morgen ging es los mit der Arbeit. Bis Dienstag war ich für meine Kollegen unerträglich: schlecht gelaunt, reizbar. Die haben mich gehasst. Außerdem muss ich ausgesehen haben wie der Tod. Aber ich bin ja unkündbarer Beamter. Schlimm war auch, das erste Mal nach dem Wochenende wieder zu essen: Ich hatte Schmerzen im Gaumen. Sonntagabends habe ich mich immer zu einer Tiefkühlpizza gezwungen – das tat richtig weh und hörte erst nach einer halben Pizza auf. Uns allen tat der Gaumen höllisch weh. Vielleicht lag es an der Dehydrierung. Die meisten hatten eine Wasserflasche neben sich stehen, wenn sie etwas genommen haben, bloß haben sie die nie benutzt.

Und dann war also von Sonntag Abend bis Freitag Pause?

Mehr oder weniger. In späteren Zeiten gab es den Juice Club. Der machte immer erst sonntagabends auf, das heißt, ich war erst um ein oder zwei zu Hause – natürlich zugedröhnt, weil wir um zehn noch einmal was genommen hatten. Deshalb war der Juice Club die allerhöchste Schule. Aber man konnte einfach nicht aufhören. Unter der Woche habe ich keine harten Drogen genommen, nur gekifft. Meine Regel war, nie alleine zu kiffen. Der Trick dabei war allerdings, dass ich nie alleine war.

Und wie hast du den Ausstieg geschafft?

Ich hab es einfach gemacht.

Was war der Umkehrpunkt?

Irgendwann wurde es doof. Ich merke, dass ich abhing wie ein Waschlappen in der Ecke und es nur machte, weil es zur Routine geworden war. Irgendwann habe ich es einfach nachgelassen.

Was heißt „einfach nachgelassen“? So einfach ist das doch nicht.

Weil ich während meiner Ehe Probleme hatte, bin ich zum Psychologen gegangen. Als ich ihm erzählte, dass ich kiffe, meinte er: „Ich behandele keine Drogensüchtigen.“ Also habe ich damit aufgehört. Ich habe es einfach nicht mehr getan. Ich hatte auch gar keine Entzugserscheinungen.

Du hast zu der Zeit auch mit den härteren Drogen aufgehört?

Nein, das war noch früher. Die stärkeren Drogen hatte ich nur auf Partys genommen. Da ich nicht mehr auf Partys ging, hatte ich kein Verlangen nach dem härteren Zeugs.

Und wieso hattest du mit den Partys aufgehört?

Zum einen ist das sehr anstrengend. Und zum anderen wurde alles immer unentspannter, weil man immer Angst vor Polizeikontrollen haben musste – ich war ja mehr oder minder immer auf Droge. In den 90er Jahren wurden die Drogentests auch immer besser. Ich hatte mich bei den Kontrollen immer herausscharwenzelt, als ich angehalten wurde. Oder hatte Glück: Durch Zufall wurde ich nicht von der Polizei herausgewinkt, weil schon alle Durchsuchungsposten an der Ausfahrt vom Festival besetzt waren. Solche Zufälle fingen langsam an, an mir zu nagen.

Und dann gab es auch immer mal wieder brandgefährliche Situationen. Einmal war ich auf einer Party und wollte relativ schnell wieder nach Hause, bloß wollten die beiden Freunde, die ich mitgenommen hatte, noch weiterfeiern. Nun mussten sie aber mit, weil ich der Fahrer war; es gab dicke Luft. Deshalb saßen die beiden hinten im Auto. Der Beifahrersitz blieb frei. An der Ausfahrt stand ein junger Mann mit blonden Locken, der mitgenommen werden wollte. Und obwohl ich nie Anhalter mitgenommen hatte, ließ ich ihn in diesem Fall einsteigen. Allerdings sprach er auf der ganzen Fahrt kaum ein Wort. Ich fuhr auf der Autobahn, 180 oder 190 km/h. Vor mir schlich einer und ich wollte ihn überholen – und dann schlief ich ein. Das Nächste, was ich merkte, war ein Ruck. Der Typ neben mir hatte seine Hände am Lenkrad und zog auf die rechte Spur herüber. „Du bist eingeschlafen“ war alles, was er sagte. Da wurde mir klar, wie schnell man bei so etwas sterben kann. Das war ein Schlüsselerlebnis.

Und wie ist das heute?

Heute nehme ich keine Drogen mehr. Ganz selten, wenn ich Besuch habe, kiffen wir mal. Dann bin ich aber auch gleich bedient. Ich hatte meine Aufmerksamkeit nach der Drogenphase auf andere Dinge gelenkt. Inzwischen ist es so, dass ich zu viel trinke. Aber auch das fahre ich jetzt herunter, weil ich nicht eines Tages zu den Anonymen gehen müssen möchte. Alkohol kann man sich ja auch nicht schönreden.

Schönreden?

Damals war man der Meinung, Hanf sei eine ganz safe Sache. Kiffen bliebe ohne negative Folgen. Bei den anderen Drogen hieß es: Man muss nur genug trinken, dann ist das kein Problem (lacht). LSD nannte man Psychomedizin und die Pilze wuchsen ja ganz normal auf dem Acker.

Und wie ist das rückblickend mit den Nachwirkungen?

Mein Gedächtnis ist schrecklich; ist vergesse alles Mögliche. Ansonsten weiß ich aber nicht, wie es in meinem Körper aussieht. Es kann natürlich sein, dass ich irgendwann Parkinson kriege. Oder meine Leber kollabiert. Ich weiß es nicht. – Immerhin habe ich meine Arbeit behalten.

Hast du Angst, wieder anzufangen?

Nein. Ich gehe ja nicht mehr auf diese Partys. Wenn ich es täte, hätte ich natürlich Lust, dass mich die jungen Frauen anhimmeln, aber ich bin jetzt über 50. Es ist nicht mehr so wie damals. Damals war ich fünf Jahre älter als sie, heute wären es 30 Jahre. Solche Partyzombies gab es damals tatsächlich und alle fanden die schräg. – Ich denke, der Drops ist gelutscht.

Du hörst auch keine Technomusik mehr?

Ich hatte die Drogen benutzt, um tanzen zu können. Ansonsten interessiert mich die Musik kaum. Außerdem könnte der Sound ja etwas triggern; vielleicht würde ich wieder in Stimmung kommen. Ich muss mich dem Reiz nicht aussetzen.

Gibt es Situationen, die du seitdem meidest?

Ich hatte ja keine Lust mehr dazu. Deshalb muss ich auch nichts meiden.

Wie blickst du auf die Zeit zurück? Was hättest du gern anders gemacht?

Das ist keine einfache Frage, denn alternative, kontrafaktische Biographien sind schwierig. Ich weiß es nicht. Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte ich vielleicht bis heute keinen Geschlechtsverkehr gehabt, weil ich so schüchtern war – wer weiß das schon? Immerhin hatte ich eine Zeit, die fett und vollgepackt war, bunt, lustig und ereignisreich. – Vielleicht wäre ich heute ein erfolgreicher Mensch mit drei Kindern, wenn es anders gelaufen wäre. Ich weiß es nicht. Da ich es nicht weiß, kann ich es auch nicht wirklich bedauern.

Danke für das Gespräch, Thomas.

Titelbild: © iStock/Yarygin

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