OffenBüro

Eines sprachlichen Abbruchunternehmens würdig erschien mir meine Mission.

Mein Arbeitgeber hatte neuerdings Freude daran, kleinere Betriebe zu schlucken, und erwarb zuletzt eine Klitsche in Bergedorf: ein kleines Übersetzungsbüro, dessen Eigentümer sofort abgesprungen waren, als sie die Kohle in der Hand hatten. Drei der Angestellten blickten lieber der Ungewissheit des Freelancertums ins Auge, als von der Krake, von uns also, verspeist zu werden – sie machten sich nach der Übernahme aus dem Staub. Eine der Personen, die zurückblieb, war Frau Meier, die ich aus früheren Zeit kannte. Sie war Buchhalterin mit Affinität zu Sprachen (privat aß sie gern Buchstabensuppe) und ist der Firma bis zuletzt treu geblieben. Wo sollte sie auch hin? Da war zudem noch ein gewisser Herr Müller, mir bis dato unbekannt, Lektor vom alten Schlag und seit der Gründung des Unternehmens dort angestellt.

Jener Müller schob Ordner, Dudenbände, Kaffeetassen, Brotpapier zur Seite und bot mir einen Platz am anderen Ende des Schreibtisches an. Ich sollte hier bis zur Auflösung aushelfen. Frau Meier saß mit uns im Zimmer – die anderen Räume waren bereits an ein aufstrebendes Start-up aus der IT-Branche vermietet worden.

Im bequemen Schneidersitz auf dem Bürostuhl – es zog unter der Tür, sie hing nicht gerade in den Angeln – fing ich an zu lesen, war mit dem ersten Text zügig durch, stockte, weil ich das Standard-Rechtschreibprogramm zur Überprüfung der eigenen Leistung nicht fand.

„Ham wa nich mehr“, antwortete Müller lakonisch auf meine Frage. Als ich nachbohrte, erklärte er mir in einer Lesepause, in der er zum Scanner lief, dass die Firma sich für ein kostenloses Open-Source-Programm zur Textverarbeitung entschieden hatte – mit der dazugehörigen Rechtschreibhilfe.

„Letztens hat mir die Prüfung statt ‚Großeltern‘ ‚Graseltern‘ vorgeschlagen, kannte auch keine ‚Jerseyqualität‘. ‚Intersexualität‘ wollte sie an dieser Stelle haben.“

Schnell überzeugte ich mich von den Vorzügen der Prüfung. Auch ich hatte eben ein hübsches Kleid lektoriert, zwar nicht in Jerseyqualität und auch nicht unisex, dafür in der Trendfarbe „Petrol“.

„Meinten Sie ‚Prolet‘?“, fragte mich der Computer. Ich war etwas irritiert. Zugegeben: Das Kleid war nicht der letzte Schrei, aber so ärmlich sah es nun auch wieder nicht aus.

Frau Meier rückte ihren Stuhl an meinen Schreibtisch. „Wissen Sie, es ist nicht mehr dasselbe wie früher. Ob auf der Arbeit oder zu Hause – überall geht es abwärts.“ Von damals wusste ich, dass sie eine vom Schicksal geprüfte Frau war. Sie erzählte von ihrem Mann Egon und seiner Vorliebe für junge Hühner. Da gab es zum Beispiel ein Vorfall, der sich in einer öffentlichen Bibliothek zugetragen hat, bei der ihr Gatte der dort angestellten –

„Fury in the Slaughterhouse!“, rief Müller aus, der offenbar bei einem Musiktext war. „Die Software hat allem Anschein nach eine linguistische Vorbildung. ‚Slaughterhouse‘ quittiert sie mit ‚Auslautverhärtung‘.“ Den „Furz“ als Verbesserungsvorschlag zu „Fury“ verschwieg er dezent.

Bevor ich antworten konnte, war er schon wieder versunken in seinen Text.

Frau Meier war inzwischen bei einer Familienfeier angekommen, wo die jüngere Cousine mütterlicherseits – ich goss mir Kaffee nach, bot den beiden welchen an. Sie nickte dankbar, er schüttelte gedankenversunken den Kopf.

„Der nicht“, klärte mich meine kommissarische Arbeitskollegin auf. „Der macht nicht einmal Pause, um ins Bad zu gehen. Er hat den Ehrgeiz, alle aufkommenden Broschüren, Flyer, Banner und Berichte allein zu lektorieren.“

Müller stand erneut am Drucker, der neue Blätter ausspuckte. Sah nach einem Geschäftsbericht aus.

Frau Meier kam kaum dazu, von dem Fahrradausflug zu berichten, bei dem ihr Mann ein kaputtes Knie vorgetäuscht hatte, denn Müller, der zwischenzeitlich wieder an seinem Platz saß und diesmal zuerst mit der Rechtschreibprüfung angefangen hatte, sprang auf: „Ich habs schon immer gewusst, dass das Diebe sind! Aus ‚Unicredit‘ will er ‚Unredlich‘ machen.“

Wie passend, dachte ich, und wandte mich mit einigen tröstenden Worten an Frau Meier.

„Und seit Neuestem will der dicke Egon Tango tanzen! Die Gazellen an sich drücken – und das alles im Dienste der Tanzkunst. Da habe ich nicht mitgemacht; soll er mal alleine hin.“

Egons Ehefrau erzählte, wie ihr Mann heimlich in der Abstellkammer Tangoschritte übte, Müller unterbrach mit „‚Lieferkanten‘, ‚Lieferkanten‘, ich lese hier immer nur ‚Lieferkanten‘.“ Auch beim Ausdruck „Lieferanten“ zeigte sich das Programm ungebildet – und schlug des Weiteren vor, „emissionsarm“ doch großzuschreiben. Müller guckte besorgt an sich herunter, ob ihm ebenfalls ein solcher gewachsen war – bei den Abgasen in der Großstadt wäre das nicht verwunderlich gewesen.

Seine Kollegin schilderte eine Figur, die ihr Mann ihr gezeigt hatte: die Laterne. Der Herr kippt die Dame seitlich, sodass sie auf ihm draufliegt. So ganz konnte ich mir das nicht vorstellen, wollte wissen, wie genau es gehen sollte, jedoch grätschte Müller dazwischen, wollte uns an seinem Bildschirm haben.

„Win-win-Situation“ kannte die Open Source nicht, obwohl die halbe Welt davon sprach. Und war sehr kreativ bei den Gegenvorschlägen:

Wien-Win-Situation,

Wim-Win-Situation,

In-Win-Situation,

Wein-Win-Situation,

Wind-Win-Situation.

Das „Martin-Luther-King-Gymnasium“ kam hingegen auf folgende Ergebnisse

Martin-Luther-Sing-Gymnasium,

Martin-Luther-Kind-Gymnasium,

Martin-Luther-Kinn-Gymnasium,

Martin-Luther-Kino-Gymnasium.

Als er zu dem Part kam, in dem das Unternehmen seine Aufgaben als Dienstleister skizzierte und er von seinem Rechner gefragt wurde: „Sind Sie ein Dienstfeister?“, ging ihm das über die Hutschnur und er stapfte doch ins Bad. Ich begab mich zu seinem Bildschirm und sah, dass der Rechner beim nächsten Wort stehengeblieben war: „Brutto-Wespen-Dings“ lautete der originelle Vorschlag. Das Wortschöpfungshighlight des heutigen Tages. Die Maschine wollte sich partout nicht auf Bruttoerwerbspendings einlassen.

Müller hatte sich wieder beruhigt und arbeitete die nächste halbe Stunde stumm vor sich hin, Frau Meier war fertig mit ihrer Tangogeschichte und ich konnte mit meinem Modetext weitermachen. Keine Auffälligkeiten so weit. Bis auf „Ultramodern“, ein überaus modernes Wort am Satzanfang und den Vorschlag aus dem Keller: „Ultramoder“.

Wir arbeiteten durch bis 14 Uhr. Nur einmal fiel Frau Meier ein, dass sie sich mal hat zu einem solchen Tangoabend mitnehmen lassen, dort von einem ältlichen Herrn aufgefordert worden war, der sie an sich ziehen wollte und an dessen kugelrundem Bauch sie wiederholt abgeprallt war. Beim zweiten Tanz gestand er ihr, dass er Knoblauch gegessen hatte.

Müller wollte zum Kopierer und warf uns beim Vorbeigehen zu: „‚Chopsuey‘. Raten Sie mal, was er daraus macht?“

So versiert waren wir nicht.

„Psychose!“

Weiterhin aus den belebenden „Yoga-Asanas“ die erfrischende „Yoga-Ananas“.

Mittlerweile war ich bei meinem zweiten Auftrag, den uns ein Kunde mit dem Hinweis „Bitte alle Fehler finden!“ übersendet hat. Die Lesung des kulinarischen Textes zog ich schnell durch und konnte es kaum abwarten, zur Rechtschreibprüfung zu kommen. Ich hatte Hunger und der Computer blieb bei „Rinderfilet“ stehen, schlug mir „Kinderfilet“ vor. Wer schrieb eigentlich diese Programme?!

Das mit dem Hunger war vorerst erledigt und ich machte weiter. Henssler war dran, der berühmte, den Gourmets anbeteten. Frauen hingen sabbernd vor den Fernsehschirmen, wenn Henssler seinen Römertopf herausholte. Der Starkoch war der Rechtschreibhilfe, der törichten, gänzlich unbekannt. Stattdessen spuckte sie als Vorschlag „Erlenrüssler“ aus. Da war wiederum ich verdutzt und googelte diese seltsame Erscheinung. Die Bildersuche lieferte ein stark vergrößertes, schwärzliches Insekt mit einem Elefantenrüssel. Der Name passte wie die Faust aufs Auge. Ein bisschen erinnerte der Rüsselkäfer an Loriots Steinlaus. Eine Ähnlichkeit zu Henssler sah ich allerdings nicht, lokalisierte die Herkunft des Programmierers jedoch im biologischen Bereich. Informatik als Hauptfach, Bio und Sprachwissenschaft als Nebenfächer.

Ich stellte mich an den Scanner und fütterte ihn einzeln mit den fertig gelesenen Seiten. Er schaffte sie nicht auf einmal, war bei dreien bereits überfordert. Nicht mehr das Alter … Im Gegensatz zu Frau Meiers Mann – die war gerade auf Klo und ich hörte, wie sie mit dem Hammer gegen den Spülkasten schlug, damit das Wasser aufhörte nachzulaufen.

Fürs Mittagessen war es jetzt höchste Zeit; da stimmte ich meiner Kollegin zu. Müller wollte nicht, meinte was von „Self-Service-Techniken“ und dass die Software diesmal bodenständig geworden sei, ließ sich dennoch widerwillig mitschleppen und lieferte auf dem Hinweg die Auflösung des Mysteriums: „Senf-Service-Techniken“. Passend dazu bestellte er sich in der Kantine, in der die beiden meist aßen, Bratwurst, Kartoffelsalat mit Brötchen und aß schweigend, während er auf seinem Netbook weiterarbeitete.

Frau Meier sagte, dass sie in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten, krank gewesen war. Von Gallensteinen war die Rede. Von wiederkehrenden Magenbeschwerden. Die Ärzte konnten nichts feststellen, doch man wisse ja, wie die Ärzte sind. Alles sagen sie einem auch nicht. Müller war gerade beim Kartoffelsalat mit Speck, Frau Meier bei ihren Ohrgeräuschen, die in bestimmten Situationen auftraten. Es war nicht klar, wann, aber durch die Internetrecherche und das Führen eines Tinnitustagebuches kam sie der Sache langsam auf die Spur.

„Herr Meier, lassen Sie die blöde Kiste und reden Sie mit uns“, versuchte ich es erneut.

Frau Meier winkte ab: „Bringt nichts.“ Sagte was von „pflichtversessen“ und ging nahtlos über zum qualvollen Thema Haushaltsputz, zur Plackerei beim Fensterputzen, Schinderei beim Kloputzen und wieder zum Herrn Gemahl, dem Nichtsnutz Egon.

„Recht hat er!“, rief Müller aus, meinte aber nicht Egon, sondern den elektronischen Rechtschreibprüfer. Brötchenreste klebten ihm im Mundwinkel. „Die heutige ‚Absolventengeneration‘ ist tatsächlich vielmehr eine ‚Parasitengeneration‘.“ Müller ließ von seinem Netbook nicht ab und begegnete dort einem „Verbesserungsprozess“, der verschlimmbessert werden sollte. ‚Verb-Besserungsprozess‘ stand unter anderem zur Debatte.

An den machte ich mich, als wir zurückkamen. Wir starteten zu einer neuen Runde des Lektorierens. Ich entdeckte in Ausführungen über Säuglingsnahrung lediglich eine „Schnullerschur“, die das Programm nicht haben wollte und gleich in „Schwulenverbände“ umpolen wollte. Vollkommen rückständig hingegen war es, was das Arbeitsleben anging. Nix mit „Work-Life-Balance“. Es folgte eine stattliche Liste:

Wok-Life-Balance,

Workshop-Life-Balance,

Werk-Life-Balance,

Wort-Life-Balance und schließlich

Balancierhilfe.

Frau Meier schenkte Kaffee nach.


Doch wie sieht das Lektoratsleben denn nun wirklich aus? Ich habe vier Lektoren interviewt und Interessantes zur Welt der Sprache erfahren: „Gendern? Ein riesengroßer Popanz“

Titelbild: DALL.E, OpenAI

1 Kommentar zu „OffenBüro“

  1. Pingback: „Gendern? Ein riesengroßer Popanz“ – Krasse Eloquenz

Kommentarfunktion geschlossen.