Sogar die Männer an der Front wissen um die heilende Wirkung des Knoblauchs. So zumindest der Geheimagent Snake aus dem Computerspiel Metal Gear, der unterwegs war in geheimer Mission. Atomwaffen und solcher Krams. Wenn er nicht gerade irgendwen abknallte, sammelte er auf seinem Weg Ballerwerkzeuge ein – und die Wunderknolle. Ein natürliches Antibiotikum, wie er dem ballernden Computerspieljunkie nebenbei vermittelte. Wenn sogar Snake … Ich war auf der Stelle fasziniert von dem Gemüse und feierte in meiner Ehe so manch Knoblauchorgie.
Meine Freundin Ola, die uns einmal in Hamburg besuchen kam und erste Anzeichen einer Erkältung zeigte, wurde, ohne dass sie Gegenwehr leisten konnte, ebenfalls der Prozedur unterzogen. Sie aß mit, rohen Knobi, eingerührt in eine Sauce, ob sie wollte oder nicht, hatte Tränen in den Augen. Drei Tage verließen wir nicht das Haus, dann erst wagten wir uns vor die Tür. Es war ausgestanden. Wir konnten wieder sozial interagieren.
Mit Ende 20 war ich immer noch nicht vom Knoblauch kuriert.
Es war Samstag. Eigentlich hatte ich Elli versprochen, mit ihr in unsere Stammdisco am Stadtrand zu gehen, in der es Tischtelefone gab, die niemand nutzte, und in der man sah und gesehen wurde. So manch Dorfpomeranze zeigte auf der Tanzfläche, was sie draufhatte. Viel war das nicht. Timo mit seiner hohlen Freundin traf man dort häufiger. Die Post ging ab, so am Rande der Stadt.
Diesmal entschied ich mich dagegen; es wurde Zeit, vernünftig zu werden. Fünf Jahre schon hatte ich studiert und es wäre nicht verkehrt, das Studium jetzt zu Ende zu bringen. Das Verfassen der Magisterarbeit war recht diszipliniert verlaufen, nachdem ich täglich ohne Wecker aufgewacht war, zur Einstimmung auf den Tag in einem aktuellen Roman las, mein Bett machte, duschte. Mir Frühstück zubereitete, E-Mails checkte, Blätter sortierte, den verstopften Abfluss studierte. Dann ging es ans Schreiben. Meine produktivste Schreibzeit war von 17 bis 20 Uhr und die schöpfte ich voll aus. Sechs Monate später war Abgabe; die Note fiel recht gut aus: zwei plus. Nun fehlten noch die Prüfungen, mündlich und schriftlich – und genau hier lag der Hund begraben.
Von einem Tag auf den anderen bekam ich eine Leseallergie. Eine leichte Übelkeit stellte sich ein, sobald ich ein Buch aufschlug. Während ich bereits im Vorschulalter stets vollbeladen und glücklich strahlend aus der Bücherhalle zurückgekehrt war, mit lauter lesbaren Schätzen im Schulranzen, war jetzt der Ofen aus. Sowas von. Was interessierte mich Werthers Lottchen? Was der Weltschmerz eines Heine? Und die Ironie war zwar ein spannendes linguistisches Thema; das jedoch erprobte ich lieber in der Praxis. Mit letzter Motivation holte ich mir viele bunte Heftchen aus der Bücherei. Schülerhilfen zu den großen literarischen Werken. Was waren die Hauptthemen im Faust? Warum ließ sich Gretchen von ihm anschnacken? Was wollte sie mit ihrer naiven Frage erreichen? Für jedes Werk hatte ich einen Tag und heute sollte Shakespeares Hamlet dran sein. Ich machte mir einen Croque, mischte unter die gekaufte Knoblauchsauce drei rohe Zehen Knobi, gab alles auf den Salat und biss herzhaft hinein, während das Heftchen das Schicksal der wirren Ophelia interpretierte. Als dem geneigten Leser gerade erklärt wurde, warum Polonius sich hinter dem Vorhang versteckte, klingelte das Telefon. Elli.
„Du kommst mit in die Disco!“, war ihre vehemente Antwort auf meinen Versuch zu kneifen. „Wie du es versprochen hast.“
Das allerdings war verlorene Liebesmüh, hatte ich doch just drei rohe Knoblauchzehen zer- und dazu noch verdrückt. Ich schilderte ihr die Situation in groben Zügen; sie zeigte sich wenig verständnisvoll. Da gebe es Mittel. Pfefferminzbonbons lutschen, Milch trinken, auf schwarzem Tee herumkauen, so was.
„Frido wird da sein.“
Frido! Ach du meine Güte. Der Kumpel von Ellis Mann, mit dem ich letztens geflirtet hatte.
„Dann erst recht nicht, Elli, sorry.“
Sie reichte den Hörer wortlos ihrem Mann: „Tu was, Stefan.“
Auch Stefan wurde von mir über meinen exzessiven Knoblauchkonsum informiert, tat es aber mit einem „Ist nicht so wild“ ab.
„Wie – nicht so wild??? Frido wird da sein, Stefan!“
„Frido steht auf Knoblauch.“
Na dann. Ich pfefferte die Schülerhilfen mitsamt Ophelias Schicksal in die Ecke und brezelte mich auf für Frido. Es war schon spät, ich nahm ein Taxi, verwickelte den türkischen Fahrer in ein Gespräch und bat ihn als Spezialisten, mir unumwunden die Wahrheit zu sagen: „Wie schlimm ist es?“
Der Fahrer hatte so gar nichts gemerkt. Wenn ich das mit dem Knobi nicht erwähnt hätte, wäre ihm nichts aufgefallen. Ich gab 5 Euro Trinkgeld und stieg motiviert aus dem Taxi.
So ganz waren meine knoblauchbedingten Berührungsängste nicht abgebaut. Um das zu kaschieren, stand ich cool an den Tresen gelehnt, lächelte, von Frido angesprochen, diskret, sprach wenig. Doch Alkohol macht hemmungslos und lüstern.
„Ich möchte auch knutschen!“, stieß ich aus, als ich Elli ihren Mann küssen sah.
„Dann knutsch doch!“
„Mit wem denn?!“
„Na, Frido steht doch da hinten.“
„Das geht nicht. Ich weiß nicht …“
Stefan wurde ausgesandt, unterrichtete Frido über meinen Knutschbedarf. Kurz darauf war der zur Stelle.
Ich erfüllte meine Pflicht als bewusste Knoblauchkonsumentin, wies ihn auf die Risiken des überhöhten Konsums, vor allem für die Mitmenschen, hin – die wilde Knutscherei begann.
Der Abend fiel dann doch ziemlich nett aus, in der mündlichen Prüfung bekam ich eine drei – und Frido steht wohl tatsächlich auf Knoblauch.
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