Die Zeitvertreibungsmaschine

Mein dicker peinlicher Verlobter ist schuld daran, dass ich seit über zehn Jahren keinen Fernseher mehr habe. Pardon, verzeihen Sie das Missverständnis: Mein Verlobter ist nicht dick. Ich habe gar keinen. Die gleichnamige Serie hingegen, die Anfang der 2000er Jahre auf SAT.1 ausgestrahlt wurde, die hatte es mir angetan. Stupide auf die Mattscheibe glotzend, Tütenspätzle in mich hineinschaufelnd, so saß ich vor der kleinen Kiste und verfolgte gebannt das Geschehen. Der korpulente Verlobte war so breit, dass er fast den ganzen Bildschirm füllte. Und den sollte nun die Protagonistin dieser Reality Show als ihren Zukünftigen den Eltern vorstellen. Natürlich war es auch nicht ihr peinlicher Verlobter – sie hatte nämlich ebenfalls keinen, doch die ahnungslosen Eltern, die wussten das nicht, wussten auch nicht, ob sie sich für ihre Tochter freuen oder stattdessen weinen sollten. In jeder Szene war beides angelegt; da brauchte man keinen Cliffhanger vor der nächsten Werbeunterbrechung.

Als die Folge endlich zu Ende war, ich mich als Zuschauerin ordentlich fremdgeschämt hatte, da konnte ich nicht einfach aufstehen und an meiner Magisterarbeit weiterschreiben, selbst wenn ich mir das für den Tag vorgenommen hatte. Es lief ja noch „Ich will meine Frau zurück!“. Die Story war simpel: Die Männer, die ins Studio geladen wurden, hatten alle Mist gebaut – nein, nicht so, wie der junge Mann aus dem Boulevardblatt, der mit dem Kopf seiner Freundin unter dem Arm an die Tankstelle kam und dort geradeheraus zugab: „Ich habe Mist gebaut.“ Diese Ehemänner hatten vergleichsweise wenig angestellt; ihre Frauen guckten sie trotzdem nicht einmal mehr mit dem Hintern an. Daher ließen die Kerle zur Freude des Publikums allerlei Peinlichkeiten über sich ergehen, nur damit sie ihre Frau wiederbekamen. Ausgang jedes Mal ungewiss. Gott sei Dank gab es zu der Zeit keinen Hans Meiser und keine Ilona Christen mehr („Du Sau, hast mich mit dieser Schlampe betrogen!“) und auch mit Greisenkindern und ähnlichen Schicksalsschlägen, auf die man bei „Explosiv“ stieß, konnte man sich inzwischen nicht mehr die Zeit vertreiben. Beide Formate waren abgesetzt, das Dschungelcamp noch nicht erfunden.

Und so begleitete mich mein dicker peinlicher Verlobter treu in der Zeit der Magisterarbeit und sorgte mit anderen verzweifelten Mannsbildern regelmäßig dafür, dass ich vor 19 Uhr nicht an den Schreibtisch kam. Abhilfe schaffte der GEZ-Mann im schwarzen Mantel, der dreimal kumpelhaft-flott an meiner Tür klingelte – so klingeln nur gute Freunde – und dann ganz ohne Umschweife wissen wollte, ob ich einen TV-Apparat besäße. Selbstverständlich hatte ich keinen – das kleine Ding konnte man nicht als Fernseher bezeichnen.

Nebenbei bemerkt: Ich konnte nie das Gewese um „Lord of the Rings“ verstehen. Gigantischer Film, hieß es da. Tolle Landschaften, super Effekte. Bei mir auf dem Bildschirm sprangen kleine Männchen vor grünem Hintergrund durch die Gegend. Das sollte also „Der Herr der Ringe“ sein, hm.

Nein, einen richtigen Fernsehapparat hatte ich wirklich nicht. Der GEZ-Vollzugsbeamte nickte verständnisvoll, lehnte sich lässig an den Türrahmen und zeigte auf das Radio hinter mir im Regal. Ob das schon angemeldet sei, wollte er wissen. Damit hatte er mich.

Er legte mir nahe, ihn in die Wohnung zu lassen, um im Hausflur nicht für Aufsehen zu sorgen, aber drin stand ja der Pseudofernseher! Mit vor Stress vernebeltem Hirn gestand ich ihm, dass ich den Rundfunkempfänger schon seit einem Jahr hätte, musste kräftig nachzahlen, war ihn aber immerhin los.

Es kam die Zeit des Digitalfernsehens, des Anschaffens neuer Empfänger, so man denn weiterhin die Geschicke von Männern mit Adipositas oder schlechtem Benehmen verfolgen wollte. Ich entschied mich dagegen. Fernsehlosigkeit hatte zudem etwas Intellektuelles an sich. Fernsehen war was für den Pöbel.

Wo ich gerade so schön dabei war, hätte ich auch gern kein Handy gehabt, kein Smartphone. Wir Lektoren sind ja so oldschool. Was sollte ich aber tun, als mein Exverlobter mir Jahr für Jahr sein altes Handy vermachte, jedes Mal, wenn er sich ein Neues kaufte? Bei Facebook bin ich leider genauso zu finden; nirgendwo sonst gibt es so lustige Faultiervideos. Fuck Privatsphäre. Immerhin habe ich WhatsApp bisher erfolgreich gemieden, auch wenn Legionen von Freunden mich vom Nutzen überzeugen möchten. Ich will und will nicht, will nicht, dass der Große Bruder alles über mich weiß.

Dann erfuhr ich von der Voice-Messaging-Funktion bei WhatsApp – ich hör mich ja so gern selbst reden.

Noch bin ich stark …